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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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1. Maiheft
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Weiss, Konrad: Münchner Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0470

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hingezeichneten Frauenbildnisse, auf, daß bei Ko
koschka das malende Temperament zuriickzustehen
scheint hinter einem allgemeiner und innerlicher kiinst-
lerischen Empfinden. Das soll nicht soviel heißen wie
literarische Richtung, wenigstens nicht in dem älteren
Sinne dieses Begriffs; sondern der Weg von der Phan-
tasie zur Form, der bei den meisten Fxpressionisten
mit äußerlicher und selbst bloß kunstgewerblicher Re-
flexion vor sich ging, ist bei Kokoschka ganz zeitecht.
zeitmenschlich. Die graphische Linie und einschnürende
Kurve liegt ihm fiir sein Erleben besonders nahe. Seine
Kunst ist von einem feinen Atemzuge beherrscht. Fiir
die malerische Räumlichkeit, die manchmal etwas de-
korativ bewegt ist, und durch die Farbe bleibt von ilnn
noch ein sinnlicheres Temperament, eine kräftigere
Dinglichkeit zu erwarten.

Die Bewegung des Expressionismus ist schon seit
längerer Zeit in die Gefahrzone eingetreten, nämlich
in die Aufgabe, seinen programmatischen Schärfen
Sattheit und dinglichen Ballast zu geben. Es zeigt sich,
daß Künstler wie etwa Nolde oder Beckmann oder Ko-
koschka oder in München Karl ('aspar, die nie unbe-
dingt in die Formel paßten, auch das weitertragende
Gewicht in ihrem bisHerigen Werk aufgespeichert
haben. Die Caspar-Ausstellung (bei ('aspari) wirkte
mit der Größe und komplexiven Natur der Gemälde
sowohl wie malerisch als auch im Geiste der Gegen-
wart, da die Kunst wieder durch ursprüngliche Struktur
und Dichtigkeit der Form weltanschaulich \\rerden will,
dokumentarisch. Die Hubertusbilder, Ostermorgen, ein
Paradies, ein großes Weihnachtstriptychon von einer
fast altdeutschen Natürlichkeit und docli ganz voll von
musikalischer Wärme eines neuen Weltgefühls; es war
künstlerisch überall das Problem, ein farbig flutendes
Übergewicht, teils in einer fast musivischen Einlage-
rung, teils im freien Schweben um und durch die For-
men zur geistigen Haltung und Bedeutung zu bringen.
Man kommt mit dieser Kunst aus dem künstlerisch und
religös Konfessionellen und Prodrammatischen endlich
wieder in den Zug der großen deutschen Form.

Die Ausstellung von Maria ('aspar - Filser (bei
rhannhauser) zeigte an dem sehr regem Interesse die
hohe Schätzung, die sich die Kunst dieser Frau in Mün-
chen errungen hat. Die Blumenstilleben, die Land-
schaften und Parkbilder, die Weihnachtstafeln mit ihrer
märchenhaften Fülle und epischen Verhaltenheit, alles
ist voller Natur. Es wirkt programmatisch, wie wenig
bei ihr nach Stil gesucht wird. Die Form entsteht
durch die Kraft des farbigen Sehens schlechthin und in
einer immer neuen, fast teppichhaften Rhythmik. Lehr-
reich wäre, etwa in einem Vergleich mit Blumenbildern
( orinths den Unterschied zweier Generationen fest-
zustellen, wozu als Differenzierung noch die schwä-
bische Natur der Künstlerin kommt, die auch in den
Bildern von Florenz einen ganz deutsch bildhaften Ton
gefunden hat. Es tat wohl, in einer solchen, sehr um-
fangreichen Schau von nichts als dem lebendigen Ge-
nuß bestimmt zu sein.

In Stobbes Bücherstube war vom Enkel Poccis eine

Franz P o c c i - Ausstellung eingerichtet worden, eine
Anzahl von Blättern und Blättchen des durch die frühen
Münchner Bilderbogen bekannten, zugleich volksepisch
und höfisch humorvollen bayrischen Grafen, die aus
dem Schloßarchiv Ammerland damit ans Tageslicht
kamen. Umfänglich war darin eine feine, farbige ve-
doutenhafte Landschaftskunst. Nicht nur diese, sondern
noch mehr die Karikaturen und Totentanzzeichnungen
wie die romantischen Szenerien hatten eine merkwür-
dige Verwandtschaft mit gegenwärtigem Ausdruck und
zeigten, daß in der Handschrift dieses romantisch dilet-
tantischen Fabulierers der Zug freier Kunst saß. Zu-
gleich floß ilnn aus der Kultursphäre etwas Schöpfe-
risches zu.

Zeichnungen von Cezanne (bei Caspari) gaben
den Genuß einer beispiellosen künstlerischen Schärfe.
Natur und Abstraktion stehen in diesen Baumstudien
in einer letzten Verbindung und Verklammerung, bei
der nur gar nichts Krampfhaftes, sondern eine strengste
Askese und Gelassenheit ist. Hier treten Fundamente
des neuen Kunstgefühls zu Tage.

Der Ideenwettbewerb für das Kriegerdenkmal in
München, der anderthalbhundert Entwürfe brachte,
zeigte, wie sehr unter dem leeren Denkmalsbegriff der
kultische Sinn einer solchen Aufgabe verloren gegangen
ist. In einem der ersten Preise, einer Arkadenanlage
zur Begrenzung des Hofes vor dem Münchner Armee-
museum mit einem Sarkophag, der vertieft in der Mitte
des großgepflastertem Hofes zu stehen kommen soll,
sprach jedoch ein sowohl monumentales wie ursprüng-
liches Gefühl sehr kräftig an. Auffallend war das Zu-
rückstehen der Flastik hinter der Architektur, und
ebenso, daß der plastische Begriff im Sinne Hildebrands
nicht im Vorrang war.

Der Plan des Kultusministeriums, mit Hilfe einer
Bank ein Kunstaustellungsgebäude beim Glaspalast zu
bekommen, in dem die staatlichen Kunstbehörden die
Möglichkeit gehabt hätten, auch im Winter Ausstel-
lungen zu machen und überhaupt in besonderen Veran-
staltungen den Kulturstandpunkt im Ausstellungswesen
zu vertreten, ist bis auf weiteres vereitelt worden. Die
Lage, in der sich die Kunstbehörde befand, war nicht
ideal. Anderseits finden Kulturgesichtspunkte bei der
wirtschaftlichen und künstlerischen Einstellung der
Künstlerschaft und bei den rein quantitativen Verhält-
nissen, in die man nach Abschaffung der Monarchie zu
geraten anfing, kein durchdringendes Echo. — Bruno
Paul und Max Slevogt sollen nun an die Münchner Aka-
demie kommen. Damit geschieht, was schon lange
hätte geschehen müssen.*) Es bleibt aber zu hoffen, daß
der Fortschritt in die lebendige Gegenwart hinein damit
nicht schon zu Ende ist.

Am 13. Mai wird die Deutsche G ewerbeschau
in München eröffnet. Bei der zunehmenden Wichtigkeit
des Ineinandergreifens von hoher und angewandter
Kunst ist es möglich, daß solche Schauen auch künst-
lerisch ein Übergewicht iiber die herkömmlichen Kunst-
ausstellungen bekommen.

•) SievogtundBrunoPaul wolIenBerlin nicht verlassen. DieRed.

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