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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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1./2. Juliheft
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Bassermann-Jordan, Ernst von: Eine Automatenfigur aus der Zeit Kaiser Karls des Fünften
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0580

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Welchem Kulturkreise gehört nun die Figur an
und wo ist sie entstanden? An Italien als Land der
Herstellung ist kaum zu denken. Die Kleinuhrmacherei
Italiens war in dieser Zeit wenig entwickelt und auf
Import angewiesen, von italienischen Automaten klei-
nen Formates wissen wir nichts, der Kunststil ging
auch hierin auf monumentale Wirkung aus. Aber wir
wissen von einem Italiener, den sein Schicksal an den
Hof Kaiser Karls des Fünften und mit dem Kaiser in das
stille Kloster von San Yuste fiihrte: es ist Giovanni,
oder wie er gewöhnlich genannt wurde, Juanelo Tor-
riano aus Cremona, der Mechaniker, Uhrmacher und
Ingenieur, den Alonso de Avalos una Marchese de Vasto
in den Dienst des Kaisers gezogen hatten, der den
Meister mit nach Estremadura nahm, um dort seine
Uhren von ihm beaufsichtigen und neue mechanische
Werke fiir ihn herstellen zu lassen. Dort fand Torriano

die richtige Atmosphäre für sein Schaffen, in San Yuste,
wo Karis Obermundkoch Monfalconetto klagte, daß er
nicht wisse, wie er es seinem Gebieter recht machen
solle, außer wenn er i’rnn zur Befriedigung seiner Lie'b-
haberei fiir neue Gerichte und zeitmessende Maschinen
eine Uhrenpastete auftragen iasse. William S t i r 1 i n g
berichtet — zumeist gestützt auf Ambrosio de M o -
r a 1 e s und auf S t r a d a in seinem iiebenswürdigen,
längst vergessenen Büchlein über Karls V. Kioster-
leben, daß Torriano in San Yuste eine selbsttätige
Mühle baute, die kiein genug war, um im Ärmel einer
Mönchskutte ver'borgen zu werden und doch zwei Vier-
tel Getreide des Tages vermahlen konnte, daß man ihm
kleine Figuren zuschrieb von Menschen, die kämpften,
Trompeten bliesen, von Pferden, die sich bäumten und
von Vögeln, die wie lebendige im Zimmer umherflogen,
schließlich von der Automatenfigur einer D a m e , d i e
zum Kiange ihres Tamburins auf dem
1 ische tanzte. — Nach des Kaisers Tode zog

Torriano nach Toledo, wo er 1585 starb. Dort 'hat er
sich vorwiegend praktischeren Künsten zugewandt,
z. B. die Stadt durch ein großes Hebewerk mit Wasser
aus dem Tejo, später auch das dürstenae Madrid mit
verbesserten Ziehbrunnen versorgt. Das dankbare To-
ledo ehrte ihn durch eine in Italien gefertigte Medaiile,
deren Rückseite auf des Meisters große Wasserwerke
anspielt. Nach seinem Tode vergrößerte die Sage den
Ruhm seiner Werke, und bis in unsere Tage hieß die
Straße Toledos, in der Torriano wohnte, die Holzmann-
gasse, Calle del hombre de paio, wie man sich erzählte
in Erinnerung an einen von ihrn verfertigte Androiden,
der in der Regel täglich nach dern erzbischöflichen
Palaste ging und von dort mit einer Ration Brot und
Fleiscn und nicht ohne vor dem Spender eine Verbeu-
gung gemacht zu ha'ben, wieder zurückkehrte.

Aber noch eine zweite Nachricht aus der in Be-

tracht kommenden Zeit kann auf unsere hier abgebil-
dete Automatenfigur bezogen werden:

In seiner „Historiscnen Nachricht von den Nürn-
bergischen Mathematicis und Künstlern“, Nürnberg
1730, S. 285, schreibt Johann Gabriel Doppelmayr
über Hanns Bullmann: „Ein Kunst-Scnlosser brachte
sich, ob er scnon im Lesen und Schreiben nicht geübt
war, durch vieles Nachsinnen, aazu sein guter natür-
licher Verstand Anlaß gabe, in verschiedenen Kunst-
Werken eine so große Geschicklichkeit zu wege, daß
ihm jedermann den Namen eines Künstlers zueignete.
Er brachte die Theoricam der Planeten, wie es die
dazumahl einig und allein übliche Hypothesis Ptolemai-
ca erforderte, vermöge eines Uhrwercks und eines Ge-
wichts von 80 Pfunden, nach einigen von ihm hierzu
verfertigten Tafeln in die Bewegung und Gang, das son-
sten vor ihme noch niemand auf solche Art praestiret.“

„Er stellte ferner unter der Gestalt Manns- und
Weibs-Personen verschiedene Figuren mit Uhr-

Abbildung 2

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