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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1930)
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Michel, Willhelm: Moderne Kunstfeindschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0021

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Moderne KunsLfemdschaft

Von WLlhelm Michel

aß sich Darstellungsmokive und Kunstmittel im Lauf der Geschichte

r-<^/verändern, ist eine geläufige Erscheinung. Die Kunstgesinnungen wechseln
mit den Lebensgrundgefichlen der einzelnen Zeiten. Aber daß eine Zeit grund-
säHliches Mißtrauen gegen die Kunst bekundet, daß Architekten den ltkamen
„Baukünstler" als eine Beschimpfung ablehnen, daß an die Rampe eines
Theaters ein Spieler tritt und ins Haus Hineinruft: „Wir wollen keine
Kunst, wir wollen Wirklichkeit!", daß ein SchriftsLeller das Wort „Dichter"
als ein „fatales Samtjackenwort" empfindet und daß diese Stimmung gegen
die Kunst schlechterdings durch die ganze Breite einer Zeit lebt, nicht nur in
einer revolutionären Iugend, sondern auch bei den Angejahrten und Alten,
die in einer Zeit hochgetriebener Kunstverehrung erwachsen sind — das sind
nene Erscheinungen. Nicht nur, wie bei den bisherigen Wendungen, ein
Übergang zn neuen Methoden, Inhalten und Gesinnungen, sondern ein grund-
säHlicher Mißmut gegen die Kunst überhaupt, ein Zweifel, fast eine Ver-
zweiflung an ihr. Wir fragen nns: kann das, was heute vom „Künstler"
zu sagen ist, auf „künstlerische", auf „dichterische" Weise gesagt werden?
Liegt nicht schon in der wesensmäßigen Grundhaltung des Künstlers ein
Etwas, das ihn verhindert, an die heute sagenswerten Dinge her-
anzukommen? Iene „Wirklichkeit", auf die wir hinauswollen, wird sie
nicht unausweichlich dnrch jede Einmengung der spezifischen Kunstkräfte ver-
kürzt, entslellt, in ihrem Wesen geschädigt? Entzieht sie sich der künßleri-
schen Fassung nicht in derselben Weise, wie Wasser nicht mit einem Sieb,
Luft nicht mit einem NeH zu fassen ist? Mit einem Wort: ist die Ordnung
der Kunst nicht mit der Ordnung der heute wichtigen Wirklichkeit so grund-
säHlich verfeindet, daß die eine nur auf Kosten der anderen gerettet werden

kann?

Diese Fragen sind heute gestellt. Und nun erhebt sich das Problem: Wie
konnte es zu einer solchen grundsäHlichen Anzweiflung der Kunst kommen?
Darauf kann eine Antwort gegeben werden.

Ich will vorausschicken: von Kunst kann nur im Zusammenhang mit dem
Menschen gesprochen werden. Außerhalb der Menschenwelt gibt es keine
Kunst. Das stimmt jedenfalls mit den bisherigen Anschanungen überein, die
alle auf dem Standpnnkt stehen: „Die Knnsi, o Mensch, hast du allein!"
Man ist zwar in neueren Zeiten mehrfach den „Kunstformen in der Natnr"
nachgegangen; die Arbeiten Haeckels, das neue Werk von Karl Bloßfeld
„Urformen der Kunst" sind dafür Belege. Man hat dabei zeigen können, daß
Motive, die in der Kunst nnd Technik des Menschen vorkommen, schon seit

Oktoberheft 1930 (XXXXIV, i)

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