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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1931)
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Alverdes, Paul: Der Fall Penzoldt
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0602

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Der Fall Pen^olbt

(P^or etwa zlvei Jahren schrieb der Dichter Ernst Penzoldt eine kleine Novekle
„Etienne nnd Luise", die zunächst in der Vossischen Zeitung erschien und später
in die Reclam-Bücherei aufgenommen tvurde. Er beschrieb darin das tragische Schick-
sal eines jungen Mädchens, daS rvährend des Weltkrieges einen entsprungenen fran-
zösischen Gefangenen zu retten unternimmt, indem es ihn in ihre Mädchenkammer
schafft, tvoselbst er eö sich in einem Kleiderschrank rvohnlich machen muß. Es versteht
sich, daß diese Geschichte nicht gut ausgeht; die beiden verfallen in Leidenschaft zu-
einander, und das Ende ist nach allerlei Verwirrung und Verstrickung ihrer beider
Tod. Eine bedeutende Rolle in dieser Erzählung kommt dem Vater deS Mädchens
zu, der seines ZeichenS Turnlehrer in der erdichteten Kleinstadt Mössel an der Maar
ist. Seine ganze Liebe und Leidenschaft gilt dem bedrohten Daterland, dem er zu
seinem Schmerz auS Gründen seiner Körperlichkeit nicht mit der Waffe dienen kann,
wie er es wünschte. Er ist von Natur etwaS wunderlich, aber wunderlich wiederpm
nicht aus ursprünglicher Narrheit, sondern aus wahrer Passion für alles Vaterlän-
dische schlechthin. Diese innere Beschasfenheit bringt ihn während des KriegeS in
manche Derfassung und Lage, die ihn lächerlich und ergreifend, aber das eine nie
ohne das andere, erscheinen lassen. Er isi ein echter Nachfahre jenes Don Quijote,
dem nun schon feit langem die Heiterkeit und die Tränen vieler Nationen gelten.

Der Dichter Penzoldt gab dieser seiner gedichteten Figur den Namen „Turnlehrer
Loch". Es ist der Name eineS Turnlehrers, der heute noch lebt. Er lebt in Erlan-
gen, und Erlangen ist die Stadt, in welcher Ernst Penzoldt seine Kindheit und erste
Jugend verbracht hat. Der Dichter gab ferner seiner gedichteten Mädchenfigur den
Namen Luise Loch. Nachträglich stellte sich heraus, daß der lebende Turnlehrer
Loch unter anderen auch eine Tochter namens Luise hat.

Der Turnlehrer Loch wandte sich nach dem Erscheinen der Erzählung mit dem
Ersuchen um Auskunft an den Dichter und erhielt sofort die Erklärung, daß die Ge-
stalten und Vorgänge dieser Erzelhlung mit ihm und seiner Familie nichts gemein
hätten und auch nichts gemein haben sollten. Der Turnlehrer Loch klagte hierauf
auf Unterlassung seines Namens. Jedermann versteht das, und der Dichter selber
bedauert längst, wie er vor Gericht aussagte, die unbedachte Verwendung des Na-
mens „Turnlehrer Loch" und nennt sie einen Fehler. Er bot jede Genugtuung an.
Das Gericht gab dem Turnlehrer Loch recht, und die Erzählung mußte in ihrer alten
Form verschwinden. Das ist ebenfalls verständlich. Sie erschien, nicht zuletzt auf
Bestehen des VerlageS Reclam, in einer neuen Fassung, in welcher die Namen
geändert und darüber hinaus noch sehr wesentliche Grundbestandteile mit Rücksicht
auf die Empfindlichkeit des Klägers verändert worden waren; durchaus zum Nach-
teil deS künstlerischen Wertes, wie Josef Hofmiller, der in dem folgenden Straf-
prozeß gegen den Dichter als Sachverständiger vernommen wurde, vor Gericht
ausdrücklich feststellte.

Denn jetzt beginnt erst der Fall Penzoldt, und seine Umstände und Folgen sind so
merkwürdiger, um nicht gleich zu sagen, so bedenklicher und für die geistige Dffent-
lichkeit der Nation so bedrohlicher Art, daß wir auch seine Borgeschichte hier in
aller Deutlichkeit und Ausführlichkeit darstellen mußten. Es war um so notwendiger,
als die Stellungnahme eines Teiles der Presse, vor allem vor der Münchner Berhand-
lung, ganz offenbar auf eine mehr als mangelhafte Kenntnis des allerdings nicht
einfachen SachverhalteS zurückzuführen war. Herr Professor Loch aus Erlangen
gab sich nämlich mit der Entfernung seines NamenS, sowie mit der aus freien
Stücken vom Dichter vorgenommenen Auslöschung einiger weiterer Ibmstände der
Erzählung, in welchen Dummheit, Klatschsucht und böser Wille allenfalls noch An-
züglichkeiten wittern konnten, keinesfalls zufrieden. Er unterstellte vielmehr dem

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