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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 8 (Maiheft 1931)
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Linfert, Carl: Gibt es eine junge deutsche Kunst?
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Martin, Kurt: Der Bildhauer Christoph Voll
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0610

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seinem Industriebild; hier ist um der höheren „Monumentalität" willen das knackend-e
Gestänge FuhrS durch sauber gespannte Reißbrettlinien ersetzt, die als solche natür-
lich unerhört funktionieren. Der Anspruch Fuhrscher Bildform ist aber auch nicht
voll erfüllt, wenu man ihren Spuren in der Art von M. SchaIl nachgeht, die die
Dingschemen bisweilen verzuckert. Hier lauert die Gefahr idyllischer Entrückung, in
der gerade das beste Beispiel solcher spätzivilisatorischen, zwielichtigen AbseitSmalerei,
Lascaux, schwebt. Auch daß Ringelnatz jetzt wie Radziwill ein dichtes Naturlaby-
rinch malt, wird nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zutat eines figürlichen Pan-
optikumschauers den landschaftlichen Borzug nur äußerlich unterstreicht.

Es gibt allerdings auch ganz andere Malauffassungen, bei denen dieser gleiche Welk-
aspekt durchauS in sein SchwarzeS getroffen ist, wie etwa bei Räderscheidt, der
sich mit Bedacht auf ein bestimmteS Thema festlegk, die halb erstarrte Spannung
männlicher und weiblicher Schemen. Das neueste Bild einer nackten Frau, vor
der ein Mann auf einem Stuhl sitzt, zeigt trotz immer schärferer Farbe die aufge--
quollens Vergipsung des Organischen mehr denn je. Auch bei Schlemmers
architektonisierter Figürlichkeit und ihrer leicht schwankenden Transparenz spürt man
viel davon. Der entstellende Brand, der zuerst von Surrealisten ans trivial Reale
gelegt wurde, dient genau genommen demselben Endergebnis; er zündet diesmal auch
in einem Bild von Hoerle, das „Der Wald" heißt und sozusagen seine Bloß-
stellung ist in Form eineS röhrenhaft groteöken Zweigmotivs der Bäume, hinter
dem ein konstruktives Blitzlicht scharffarbig aus mehreren „Himmeln" bricht. Selbst
,^lbstraktes" BauhauS-Kunstgewerbe wie daS Wandglasbild von Albers init der
Handsilhouette über den schwarzweißen Streifen hat in seinen Abmessungen noch
diesen Zug des Unheimlichen, das zugleich aussagt. Bei Strecker hingegen weiß
man nicht, ob eine ruinöse klassizistische Finesse den Effekt macht.

Von den Plastikern kommt außer Breker und Matare kaum jemand über daS
Abklatschideal oder mindere Stilisierungen hinaus.

Es ist also nicht viel vorgefallen in Malerei und Plastik. Natürlich, denn das ge-
schieht schon seit langem anderswo. Die Ausstellung war daher nicht gerade auf-
regend. Aber sie gab endlich wieder einen Blick über das übliche AusstellungSgut hmauS
und erlaubte eine Diagnose des Augenblicks, von dem die einzelnen Kunstabsichten ergrif-
fen und gelenkt wurden. Man könnte doch einmal nachtasten, was in dem gegenwär-
tig so trägen Lauf der Kunstformen alles umgeht und im geheimen seine Spitzen hat.
Da die meisten Ausstellungen nur Verschönerungsgewerbe (für was?) bieten, muß
man es schon betonen, wenn einmal eine Ausstellung etwaS sagt. CarlLinfert

Der Bildhauer ChrisLoHh Voll

er Bildhauer Christoph Doll setzt schon als junger Mensch mit einer außer-

gewöhnlichen Begabung ein, mit einer Arbeitsintensität, die leicht als Früh-
begabung hätte gefährlich werden können. Aus einer schweren Iugendzeit voll
Elend, Hunger und Bedrückung hat sich eine agressive Haltung ergeben, der es
darauf ankommen mußte, sich zu befreien durch die Aussprache im künstlerischen
Werk. Voll kam zum sozialen Thema nicht als Illustrator, sondern als Bekenner,
er empfindet sich als Kämpfer mit der ganzen Aktivität, die die Behauptung
erfordert. Auch das ist gewiß nicht ungefährlich, aber er ist voll Kraft und Uw-
beugsamkeit, voll Ansparmung und Wagnis. Die Offenheit ist rücksichtslos: so ist
der Mensch, wenn man ihn nicht beschönigt: plump, arm und häßlich. Vor dieser
Tatsache macht Voll keine Zugeständnisse an verwöhnte Augen, die „Höheres"
suchen. Für ihn stehen Kunst, Leben und nackte Wirklichkeit dicht zusammen. Der
Realismus der Darstellung war tiefe Notwendigkeit, das soziale Thema wurde
jugendlich beteiligt und ohne höhere Freiheit herausgestellt. Diese Nötigung
geht nrcht auf Äußerliches, der erzählerische Anlaß wird gesammelt zur

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