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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 4 (Januarheft 1931)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0307

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eines überzeugenden Gesamteindrucks, in dem die Einzelheiten dem Wesentlichen
sich optisch unterordnen, hatte er so wenig wie sein Dorbild Bastien-Lepage erfaßt.
Für das Sublime dieser sensiblen Malerei war Corinth damals noch viel zu massiv.
Er malte alles, was ihm unter die Augen, in den Sinn kam: Vergangenes und
Gegenwärtiges, Heiliges und Profanes, Menschen, Tiere, Früchte, nacktes Fleisch
und rauschende Gewänder — bald laut und derb, bald fein und still, selten aber
in letzter Hingabe an den sgnhalt und sein Wesen, mehr im Sinnenhaften und
Vitalen verbleibend. Unser farbiges Bild entstand in München, da dieses noch Ausgang
und Mittelpunkt der neuen Malerei war und ihm nicht nur aus Deutschland die Jugend
zuströmte. Corinth gehörte zu den Frischesten, Unmittelbarsten; vom Modell ab-
hängig, aber dieses steigernd. Böcklin und Thoma haben auch das mensch-
liche Skelett zu ihrem Selbstbildnis in Beziehung gebracht, aber als Sinn-
bild des TodeS und Träger eines poetischen Gedankens; Corinth läßt es beim
Skelett bewenden. Jhm macht es Spaß, neben das sleischlose Beinergerüst die
geschwellte Fülle und Macht seines wuchtigen Körpers zu stellen, wi'e zur Konsron-
tation von Leben und Tod. So brutal das Motiv, so schön ist es gemalt in den
lichten, luftigen, feinen Tönen, in dem zarten Blau und Grau, den sanften rosa
Tönen des Hintergrundes. Jnteressant die Rahmung und Ausschneidung der Fenster-
scheiben, die jeden der beiden umgrenzt und sie zugleich miteinander verbindet. Jm
letzten eine kühne Gelassenheit, wie der breitspurige Maler sich beinahe zum Schau-
steller des Todes macht, der hilflos an seinem Haken pendelt. Dieser hinterhältige
Humor nimmt dem Motiv das Grausige, macht es zu einem Triumph der Vita-
lität. Das Bild steht am Ende der Frühzeit Corinths, es ist eins der allerbesten
Corinths und ein Meisterwerk neuerer deutscher Malerei überhaupt.

Einige Jahre später zog Corinth nach Berlin, wo seine Malerei blühender und
üppiger wurde. Als den Fünszigjährigen schwere Krankheit niederwarf und sein
Jnneres mächtig aufrüttelte, erstanden in wachsender Zahl Werke, die große see-
lische Bewegtheit besitzen. Nach ein paar Schlaganfällen, die den mächtigen Leib
weiter erschütterten, brachen die letzten Gründe der Seele auf. Der alterndö
Corinth schenkte uns Bilder, die aus tiefster Schau und Ergriffenheit geboren sind,
von einem teilweise mächtigen fgmpressioni'Smus, der sich freilich nicht immer der
Formlosigkeit zu erwehren vermochte. sg. Pp.

Umschau

Zu den Vorgäugeu in Brasrlien

ie lateinamerikani'schen Revolutionen
haben verschiedene örtliche Ursachen.
Namentlich ist die brasilianische nicht
mit der argentinischen zu vergleichen. Jn
Brasilien handelte es sich in erster Linie
um den alten Gegensatz zwischen den
Staaten Rio Grande do Sul zusammen
mit Minas Geraes auf der einen Seite
und Sao Paulo auf der andern Seite,
also um staatspolitische Gründe. Die
beiden bestehenden Parteien: die herr-
schende Republikanische Partei Brasi-
liens, deren Kandidat, der Paulistaner
PresteS, als Nachfolger deS Paulistaners
Washington Louis gewählt worden war,
und die Opposition, die Liberale Allianz,

hatten bis dahin an vielen Stellen zu-
sammengearbeitet, und der in der Prä-
sidentenwahl unterlegene StaatSpräsident
von Rio Grande do Sul, Gedulio Var-
gas, konnte erst in dem Augenblick die
Fahne des Aufstands erheben, da der
Rio Grandenser PatriotiSmus beide Par-
teien zu gemeinsamem Vorgehen unter
seiner Führung vereinigt hatte. Die
schnellund wenig blutig verlaufeneRevolu-
tion hatte denn auch zunächst nur eine
neue Verteilung der höchsten StaatS-
ämter unter Rio Grandenser und Mi-
nenser zur Folge, und vom Jnteresse des
StaatenbundeS aus gesehen war die Re-
volution ein durch die inneren Spannun-
gen notwendig gewordeneS Mittel, den
Abfall einzelner Staaten und das AuS-

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