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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1931)
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Martin, Kurt: Oskar Kokoschka: anläßlich der Ausstellung des gesammelten Werkes in der Mannheimer Kunsthalle
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0422

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Qskar Kokoschka

Anläßlich der Aussiellung des gesammelten WerkeS in der Mannheimer Kunsihalle

Von Kurt MarLin

A^okoschka ist 1886 geboren. Seine künstlerische Ausbildung erfolgte in
«-^Wien an der Kunstgewerbeschule des österreichischen Museums für Kunft
und Industrie. Von Klimt lernte er das Handwerk. Kokoschkas Anfänge sind
kunstgewerblich dekorativ. Mit 21 Iahren schreibt er das Drama „Mör-
der, Hoffnung der Franen". Ein Iahr später stellt er in der Wiener Kunst-
schau Fresken und bemalke Skulpturen ans. Im gleichen Iahr 1908 ent-
steht jedoch das Bildnis Karl Kraus, 1909 folgt das Bildnis Äugust Forel.
Es ist die erste Entscheidung, eine erste zuverlässige Stellung zum Gegenüber
der Welt. Diese Entscheidung fällt Kokoschka für sich selbfi. Die Frage nach
dem Ich ist neu gestellk, die Wirklichkeit der Welt isl neu erlebt. Die Diftan-
zen werden unmeßbar nnd eigentümlich beziehungsvoll, sie sind sehr direkt.
Die Menschen des Iugendsiils scheiterten, weil diese Difianz über unsichere
Gefahren reicht, weil die unmittelbare Berührung leer war. Die Leere zwang
zur Flncht in die Stilisierung, zur Flucht in das Ornament. Das Ornament
aber war nicht enthobene, sondern unerreichte Wirklichkeit, nicht mehr wie
am Ilrsprung voll dunkler und finsterer Mächte, voll unmittelbarster ibkeu-
artigkeit, nicht mehr übergeordnete Beziehung aus der Wirklichkeit, drangvoll
durch die Realisierung und mit einem Ienseitigen geladen, das so durch das
Ornament allein geleistet werden konnte. Dieses Ilnerreichbare des Iugendstils,
dieses Dasein, abgelöst von einer Wirklichkeit, zwang die Menschen zur
Übersteigerung des eigenen Formakes, zur Hypertrophie des Ich, das weder
Unendlichkeit noch Wirklichkeit kannte und nur mit Hilfskonstruktionen das
Gleichgewicht einer Existenz aushielt. Das Ornament wird zu solcher Hilfs-
wirklichkeit und bestimmt als Grnndform dieser Zeit den ästhetischen Charak-
ter der Ablösung vom Hier und IeHt. Die Wirklichkeit wird Lransponiert
in die Künstlichkeit fremder Atmosphäre, exotischen Scheins: die Blumen
des Iugendstils blühen orchideenhaft prächtig aus den Dünsten der Treib-
häuser. Nur der Schein gilt als prächtig, der Orient des Märchens, der
Traum der Ferne; das Hier einer Umgebnng erschien nüchtern, das IeHL
einer Gegenwart leer. Das Ornament füllt die Dekoration als Nesultat des
Komponierens, das die Zusammenhänge ornamental ordnet. Das 19. Iahr-
hundert hatte die Entstehung des Ornaments aus dem Schmuckbedürfnis er-
klärt und damit sich selbß gedeutet; der Iugendstil empfand gehaltvoller:
das Ornament mußte etwas bedenten. Da es aus sich selbst jenseitige Span-
nungen nicht mehr enthielt, da es abgeleitet, nicht übergeordnet war, wur-
den ihm Inhalte von außen herangetragen, der Körper wurde mit symbolischen
Bedeutungen bekleidet, der Vorhang wnrde wichtiger als das Fenster. Die
Bedeutungen verteilte der Künstler, er wurde zum Herren über die herren-
lose Wirklichkeit der Dinge, er riß diese Macht an sich nnd bestimmte durch
das Mittel der Stilisierung die Sichtbarkeit der Welt. Die Philosophie
wurde in diesem Sinn künstlerisch, der Machtmensch, der Übermensch wurde
erzeugt. Es ist kein Zufall, daß die Künstler des Iugendstils oft viele Künste
übten, sie können es nicht aus der Nötigung zu verschiedenem Ausdruck,

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