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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1931)
DOI Artikel:
Ullmann, Hermann: Der Osten und das deutsche Schicksal
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0412

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XXXXIV.

Der OsLen unb das deutsche Schicksal

Von Hermann Ullmann

ie GestalL des deutschen Volksbodens nnd der deutschen Seele ist wesent-

^^lich bestimmL worden durch die großen KolonisaLionsvorgänge im
Osten: eine älLere KolonisaLion nach dem Südosten, eine jüngere nach dem
Nordosten. Sie ermaLLen beide eLwa vom i^. JahrhunderL ab, Lreiben noch
neue Wellen vor im 18. und 19. JahrhunderL unLer staaLlicher JniLiaLive, die
große Leistung des Volkskörpers selbst Lst aber schon in jener FrühzeiL er-
loschen. Die beiden KolonisaLionsbewegungen disterenziereu sich frühzeitig. Die
SüdostdeuLschen werden die Träger des Donaureiches, eines SLaaLes, der auf
die ZusammenarbeiL der DeuLschen mik fremden Völkern gegründeL ist. Die
nordostdeuLsche KolonisaLionsarbejL findeL ihren stärksten Ausdruck im Ordens-
staaL, der „völlig singulär aus dem miLLelalLerlichen Gedanken des NiLLer-
nnd MönchLums die strenge Austassung der BeamLengflichL in den Hohen-
zollernstaaL überleiLen sollLe" (Aubin).

Von Nord- und Südosten aus wird das deuLsche Schicksal von da ab be-
stimmL. Die Disterenzierung zwischen den beiden KolonisaLionsgebicLen spielL
miL in der großen AuseinanderseHung zwischen ReformaLion und Gegenrefor-
maLion und findeL jhrcn HöhepunkL in dem Kamps um die VorherrschafL in
DeuLschland.

Die Spannung zwischen dem Nordosten und dem Südosteu haL in der deuL-
schen GeschichLe fruchLbar gewirkL, von hier stammen aber auch die großen
Hemmungen staaLlicher GestalLung. Wenn wir uns heuLe noch immer nicht
aus cinem schöpferischen Volke zu einer poliLischen NkaLion enLwickelL haben,
so liegL hier einer der HaupLgründe. Iosef PonLen läßL in seinem Roman vom
AuslandsdeuLschLum seinen Helden phanLasieren von einer Zusammenarbeit
Friedrichs des Großen und Marja Theresias. Gerade an solchen Phantasien
wird klar, daß sich das deutsche Schicksal so und nichL anders gestalten konute,
wie es sich gestaltet hat. Einen Augenblick lang LauchLe in den Stürmen der
Befreiungskriege gegen Rrapoleon, namenLlich in den Kouzeptionen des Frei-
herrn vom Stein ein Bild der politischen NaLion empor, das jenen Gegen-
saH zwischen dem Tkordosten und dem Südosten zur großen miLLeleuropäischen
EinheiL verschmolz. Dem ganzen ZeiLraum aber von den Befreiungskriegen
bis zum WelLkrieg mangelL der Blick für den gesamLdeukschen Siedlungs-
und Lebensraum, den der Freiherr vom Stein noch gehabL haL und den wir
heute wieder zu gewinnen anfangcn. Dem Streben nach dem deutschen StaaL
fehlte in diesem ZeiLraum die volle volkliche Llnschauung. Sie klingL noch
einmal an in der ursprünglichen Bismarckschen KonzepLion des Bündnisses
zwischen DeuLschland und Oestcrreich. Aber seinen Epigonen gehL sie vollends

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Märzl,eft iyzi (XXXXIV, 6)
 
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