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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1930)
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Alverdes, Paul: Maria Luise Weißmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0033

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Maria Luise Weißmann

Von Paul Alverdes

^b^ie Menschen sind nur so lange produktiv in Poesie und Knnst, als sie
„^-^noch religiös sind; dann werden sie bloß nachahmend und wieder-
holend", hat Goethe einmal zu Riemer gesagt. Wer davon abzusehen
vermag, das Wort religiös dem Worte „glänbig" gleichzusetzen, wie
es zur Verwirrung der Begrisfe so leidig oft geschieht, der findet in der
Goetheschen Bemerknng einen Schlüsfel zu dem ganzen künstlerischen Elend
unserer Zeit. Vermutlich wird mehr als jemals geschrieben, gereimt und
gemalt, aber vermntlich ist es auch niemals billiger gewesen, sich einen
Künstler zu nennen. Erschreckend viel nämlich von dem, was uns als Kunst
vorgesetzt wird, ist nur noch nnreligiös oder sachlich oder nichtig schlechthin,
das heißt: es bleibt von vornherein außerhalb, um nicht zu sagen unterhalb
der eigentlich produktiven oder schöpferischen, das heißt der religiösen Sphäre,
in welcher allein über Glanben oder Unglauben, über Gott und Götter,
Tod und Teufel, Zweifel und Verzweiflung erst verhandelt und ent-
schieden wird.

Was diese Borbemerkung mit dem Andenken der Dichterin Maria
Luise Weißmann zu tun habe, wird man gleich sehen. In der Tat
ist sie eine ungläubige, unchristliche Person gewesen, welche die Kirche mied,
wie sie in einer autobiographischen Bemerkung ausdrücklich bekannt haben
will, und welcher die Kunst „die erste Ahnnng von Verlnst, Auflehnung
nnd Verdammnis" wachwerden ließ. Zugleich ist fie aber, wie sich aus den an
Zahl geringen veröffentlichten Gedichten und Schriften nnd denen des Nach-
lasses ergibt, eine der ganz wenigen wahrhaft religiösen, wahrhaft seelen-
haften Erscheinungen des jüngeren deutschen Schrifttums gewesen, und der
Verlust, den wir erlitten haben, als sie am 7. November 1929, kaum
dreißigjährig, von uns ging, wiegt so schwer, wie der Verlust eines allznfrüh
erloschenen dichterischen Genius nur wiegen kann.

Was es mit dieser ihrer eigentümlichen Religiosität auf sich hat, läßt sich
vielleicht aus ein paar Worten ihres „Kleinen Impromptus im Herbst"
erahnen. „Ich bin ein einsamer Mensch und ein Heide", heißt es da; „ich
konnte niemals niederknien und anbeten, wunschlos verehrend. Was mich
berauscht, das will ich mir gesellen, daß meine Einsamkeit sich in der Liebe
betäube. Ich wünsche zu sein, was mich entflammt..." Oder: „es wächst",
schluchzt die Veronika der Gartennovelle, „es wächst, und ich bin nicht dabei."
Oder: „...was geschieht, geschieht in mir. Ist ich. Ich bin inmitten", sagt
Robinson, den die Dämonen anfallen. Was sich hier ausdrückt und in so
vielen ihrer Gedichte wiederkehrt — im Thematischen wie in einzelnen be-
sonders eigentümlichen Bezügen nnd Berknüpfungen —, so daß man es
geradezn als das Charakteristikum ihrer Lyrik bezeichnen darf, ist die Nätur-
Religiosität der gott- oder götterlosen Zeitalter wie des unseren und ihrer
Menschen überhaupt. Dieser Mensch kennt keinen Iknterschied mehr zwischen
sich nnd der Natur, die ihn umgibt, oder will doch keinen kennen. Er will
sich einbeziehen in den vielleicht schaudervollen und rätselhaften, aber doch
unendlichen und unsterblichen Zusammenhang, den er dort noch gewahrt;
 
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