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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1931)
DOI Artikel:
Grimm, Hans: Forderung an die Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0563

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XvX8H^Ri XXXXIV.

Forderung an die Literatur

Von Hans Grimm

die schreibende Kunst wie jede Kunst keine ZweckseHung kennen dürfe,
«^-^wird vom LiteraLentum der Zeit gern erklärt. Hinter der halben, mit
dunklem Wortschwall vorgetragenen Wahrheit verbirgt sich unbewußt und
bewußt die Drückebergerei der Schreibtischmenschen vor dem Ernst, vor der
Härte, vor der Schwierigkeit, aber auch vor der Größe und Tiefe des gegen-
wärtigen Gemeinschaftslebens. Er, der selbst dem Zusammenhang entlief,
verlangt dann neuerdings für die Bequemheit und eigene Wehleidigkeit,
die er Schasfen nennt, besondere Almosen und Zuwendungen des Staates
und der Gemeinschaft. Der Ausdruck erotischer, morbider, fpielerischer Er-
lebnisse oder viel hänfiger erotischer, morbider, spielerischer Phantasien, wie
sie alle beweglichen und nicht voll beschäftigten Menschen haben und haben
sollen, aber freilich, wenn sie Kerls sind — es sei denn vor der einen Frau—,
unter zehnfach verschraubten Platten verborgen halten, bedeutet ihnen
künstlerische Tat. Ihr Berlangen an den Leser, der sich von dem gedruckten
Rückstande nun seinerseits Verstand und Sinn und Seele bewegen lassen
soll, gleicht der merkwürdigen Einladung, in das benüHte Bad eines andereu
zu tauchen. Sie nennen ZweckseHung, sie warnen vor Tendenz, wo ihnen
Schriststeller begegnen, die nicht weniger als sie das Ich erlebt haben, dieses
dreiviertel Tier und diesen viertel Gott mit den Lüsten und Unlüsten bald
des einen und bald des andern, die aber begristen haben, größer als das Ich
sei das Ich und Du, vor dem Zusammenhange sei die Einzelheit gering, der
große Gegenstand sei das Schicksal durch den Zusammenhang und im Zu-
sammenhang mit dem Leben des eigenen Volkes, und alles andere sei Folge.
Unser Schrifttum ist jahrelaug von den Literaten bestimmt worden, es ist da-
durch zur Gleichgültigkeit und Bedeutungslosigkeit für das Leben der Niation
herabgesunken. Es hat allenfalls Menschen in mechanisierten Berufen etwas
Wärme und Traum gegeben und ihnen also zu besserem Gleichgewichte ge-
holfen, es hat halbschläfrige Mußestunden in der Form des „Sofabnches"
wohl ausgefüllt, es hat gelegentlich auch einem „Kerl" gedient dadnrch, daß
es ihn nach Werk und Tat eine knappe Weile von sich abzog und also
erfrischte — ich unterschäHe die soziologische Wichtigkeit solcher Wirkungen
nicht —, ich weiß aber, und jeder weiß es, daß unsere beste und tüchtigste
Münnheit am schönen Schrifttum unserer Zeit vorbeiging oder es doch als
Spielkram betrachtete, weil es ihr nichts bot, weil es ihr bei der ostensicht-
lichen Schwäche seiner Gegenstände keine Llchtung abnötigte.

Es ist Reaktion auf das, was die schreibende „Kunst" nicht leistete, daß un-
versehens die geschichtlichen, die biographischen, die halbwissenschaftlichen Bü-

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Maiheft 1931 (XXXXIV, 8)
 
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