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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 3 (Dezemberheft 1930)
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Stoessel, Otto: Anna Croissant-Rust: (zum 70. Geburtstage)
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0239

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rechnenden Knecht, der sein Glück bei den Weibern frech anönützt nnd von serner
Roheit bis zum Totschlag an der Ziehmutter gebracht wird, die ihn so lange ver-
wöhnt und beschützt hat. Es ist eine merkwürdige Hintergrundstragik des Mutter-
instinkts einer kinderlosen Frau, die dem Stück zum Grauen Mitleid und Trauer
mitgibt.

Davon hebt sich sreundlich ab der Roman „D ieNan n", der daS Wachstum eines
heiteren Tiroler BauernmädchenS bis zur Ehe schildert. Man sieht die liebliche
kleine Kreatur sich wie eine Alpenpslanze im widerswebenden Felsengrund recken und
strecken und ausblühen. Inmitten unleidlicher Zustände, verkümmerter, verrohter
Menschen, in aller Gegenwirkung einer schonungslosen Natur, deren Winter und
Sturm, Schnee und Stürze, Felsen und Matten in der einsachen Großheit deS
Ewigen, Allgemeinen geschildert sind, drängt sich menschliche Werktätigkeit, Selbst-
ausopserung und Liebe, das schwierige Gute durch. Als tröstliche Normalität wird
ein eigentümliches weibliches Gütig-Echtes herausgetrieben, in der Form aber ist
die Erzählung ganz eigen mit ihrem feinen Gehör für den Laut der Rede, für die
Besonderheit der Mundart und für das Charakteristische in ihrem Gebrauch bei
jedem Einzelnen. AuS gleichem Gebiet stammen auch kleinere Geschichten, wie die
eine monumentale von der Greisin, die in der Wirtsstube das Sterben ihres Ge-
schlechts berichtet, indem sie die Eintragungen der Familienbibel erklärt.

Die Dichterin bewohnt ein Häuschen in Pasing, inmitten eines kleinen Gartens, der
ihr viel Plage macht und den sie auch jetzt noch allein betreut. Wenn ich nach Mün-
chen komme, leider allzu selten, dars ich dort einkehren und weiß mich immer freund-
lich ausgenommen. Ein gelegentlicher Briefwechsel stellt die Verbindung her in den
langen Zwischenzeiten. Aber auch in der Ferne sehe ich die gütige regsame Frau
vor mir; das kluge Gesicht mit dem lebhaften Ausdruck der Teilnahme sür alles,
was in der Welt vorgeht, hat einen Voltaireschen Zug, verklärt durch Güte und
durch innere Wärme. Jhre beobachtenden Blicke, das schmerzlich erfahrene Lächeln
und das gefaßte Wort glaube ich wahrzunehmen, als säße ich ihr gegenüber an dem
Tische vor dem runden Erker, der „Apsis", ihres Wohnzimmers mit seinen seineri
alten Möbeln, Bildern und unsichtbaren Ermnerungen. Ieder echte Dichter wirkt
und lebt auch als echter Mensch. So echt und recht steht auch ihre Gestalt vor
mir, sie ist ein weiblicher Vertreter der ewigen natürlichen, nicht der heute so be-
liebten explosiven Humanität. Otto Stoessl

Umschau

Georg Dehio

m 22. November d. A seierte Georg
Dehio seinen achtzigsten Geburtstag.
Nächst Nobert Vischer, dem noch leben-
den Kämpen der alten Generation, ist
Dehio der letzte Vertreter der deutschen
Kllnstgeschi'chtsforschung, die in harter
und zäher Pionierarbei't Stück sür Stück
Heimatboden erkämpft und seine künst-
lerischen Werte erschlossen hat. Seine
Ansänge reichen in eine Zeit, als noch
sast allenthalben die junge Wissenschaft
der Kunstgeschichte den Blick nach Süden
gerichtet hatte. Dehio, der Balte von
Stamm und Geblüt, hatte zwar auch
auf diesem Gebiet ersolgreiche Llnter-

suchungen angestellt, aber rasch festigte
sich sein Jnteresse für die deutsche Kunst,
die erst durch ihn einer systematischen
Erforschung, vorwiegend für die Epoche
deö Mittelalters und der Llbergangs-
periode zur Renaissance, entgegengeführt
wurde. War schon durch sein Monumen-
talwerk der „Kirchlichen Baukunst des
Abendlandes", das er gemeinsam mit
von Bezold herausgegeben, ein überaus
reiches Feld deutscher Denkmäler der
weiteren Forschung fruchtbar gemacht,
so schloß sich daran die stattliche, mehr-
bändige Publikation der deutschen Pla-
stik des Mittelalters, die Bodes erst-
maligen Versuch einer Gesamtdarstellung
bedeutend erweiterte. Später folgte dann

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