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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 4 (Januarheft 1931)
DOI Artikel:
Weippert, Georg: Die Ständeordnung und die Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung
DOI Artikel:
Schenker, Heinrich: Gedanken über Kultur, Kunst und Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0266

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stenz objektiver Ränge anzunehmen — steht auf christlicher Seite eine Ver-
schiedenheit des inneren Beweggrundes, der inneren Stinnne, des inneren Ru-
fes gegenüber. Was auf der Seite der Rkatnr der antike „Dämon", das ist
auf der Seite der Freiheit der „Ruf Gottes". Beim antiken Dämon ruht
der Akzent auf dem Getriebensein, also auf der Natnr-, der Zwangs-, der
Schicksalsseite. Übersehen ist hier genau das, was die christliche Prädestinations-
lehre vorausseHt: die Freiheit der Person. Der Gerufene kann der Stimme
folgen, er kann sich ihr aber auch verschließen; er kann die Bestimmung an-
nehmen, er kann sie aber auch im TroH gegen Gott ablehnen. Es handelt
sich beim antiken Borherbestimmtsein und bei der christlichen Berufnng nicht
lediglich um zwei verschiedene Auslegungen desselben Tatbestandes, vielmehr
überbetont die antike Vorstellung die Rkaturgegebenheit, also die eine Seite
der menschlichen Existenz, während die christliche Borstellung die Transzendenz
des Anftrags vor allem unterstreicht.

Hinsichtlich des Prinzchs der Hierarchie ist nun von Wichtigkeit, daß durch
den Selbstfindungsprozeß die vom „Jch der Willkür" aufgehobene Schich-
tung wieder hergestellt wird. Die radikalste Widerlegung erfährt nämlich der
SaH von der Gleichheit der Menschen, wenn auch nur indirekt, durch die Selbst-
findung. In ihr kommt erstens die Berschiedenheit der ü^atur — die Grund-
lage des Prinzips der Hierarchie — voll zum Borschein, aber auch die andere,
in der Selbstfindung herausgestellte Seite, die Gewißheit einer Bestimmung,
führt notwendig zu einer Disterenzierung und Schichtung. Spezrell dieses gänz-
lich subjektive Moment der Bestimmung aber fordert, daß das Ich selbst es
ist, das sich einordnet. Ie freier das Individuum nun wird, je mehr es sich
bei sich selbst zu Hause fühlt, desto sicherer nimmt es den ihm in der Gesell-
schaft zukommenden PlaH ein.

Nachj'chrift der Redaktion: Nicht für unfere Lefer, aber für gewiffe Kritiker, deren Ge-
schäft es ift, den Kunstwart auf verfteckte Tendenzen abzuschnüffeln, fei, auch wenn es den
Herren fchwer eingeht, bemerkt, daß diefer Aufsatz so wenig wie irgend einer in diefen Blättern
etwaö mit einer der beftehenden politischen Parteien zu tun hat. Oas parkeimäßig „Organi-
fierte" widerfpricht nicht nur WeippertS Ausführungen, sondecn der Haltung unserer Zeitschrift
überhaupt.

Gedanken über Kultur, Kunst und Mußk

Bon Heinrich Schenker

^b^as nackte Leben sich zu^ubereiten, damit muß wohl jeder von vorn an-
^-^fangen mik KrafL, Gewalt oder List. Mit dem geistigen Leben könnte
es der Mensch bequemer haben, er brauchte nur zuzngreifen, um sich von dem
schon aufgehäuften großen Borrat ein Mehr oder Weniger anzueignen. Und
doch zeigt das Leben der Menschheit mehr tierische als geistige Folge.

Des Menschen Erneuerung geht im Innersten vor sich, daher bedeutet für
seine Erneuernng eine Bertiefung desselben mehr als die flüchtige Anfnahme
von wechselnd Neuem.

Kultur ist eine in GegensäHen sich answirkende Einheit; sie gedeiht nur dort,
wo auch das Aristokratische als GegensaH nicht fehlt; die Gleichheit und
Aktivität aller hebt als Chaos sogar die Zrvilisation auf. Aus gekaufter

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