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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 6 (Märzheft 1931)
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Kraft, Werner: Über Christian Wagner
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Baur, Karl: Adolf Loos
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0450

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Das Besondere Ln dresem GedrchL, cbenso wie in dem auf die KaHe, liegt
darin, daß der Hexameter, den Wagner sonft nur scheinbar, mit Hilfe primi-
tiver Änderungen der Worte meiftert, um das Metrum zu erfüllen, unter
dem Zwang elementaren Gefühls zum dichterischen deutschen Verse wird,
der eines griechischen Namens gar nicht mehr bedarf. — Aber was immer, im
Interesse der Sache gegen diese Sammlung eingewendet wurde, man soll
sie troHdem lesen. Denn sie enthält auch Gedichte, die bei Güntter fehlen.
Von ihnen sei hier nur das folgende zitiert, das den Titel „Überschwang" führt:
Haft du in deiner Rüftkammer,

Ewi'ger, Keil nicht noch Hammer,

§ür mich Erdüberzähligen,
llnseligen und doch Seligen?

Diese Frage ift eines alten Mannes lyrischer Urlaut, wie überhaupt die
Gewalt der Frage bei Wagner am Schluß mancher Gedichte in meta-
physischen Bereich durchbricht. 2lm Ende dieser Betrachtung, die zu Hin-
gabe, wo überhaupt in der Zeit noch solche vorhanden ift, an die Gedichte
Chriftian Wagners aufrufen möchte, sei noch das schöne, ernfte, bei RuH
den erften Band beschließende Gedicht mitgeteilt:

„llnd willft du Sold von mir, und willft du Lohn,

So bift du Liebling nicht, und nicht mehr Sohu,

So bift du Söldling nur, so bift du Knecht,

So lohn ich dich nach Brauch und Herrenrecht."

„llnd fteht es so, so will ich lieber nicht —"

So sprach beschämt ich in dem Traumgesicht —

„Sold oder Löhnung! Nur den einzigen Lohn,

Daß ich dein Liebling bleiben darf und Sohn"^°.

Möge diese hohe Mahuung, welche der bittere Alltag eines armeu Bauern
in der moralischen Reiuheit eines achtzigjährigen Lebens beglaubigt, auf die
heutige und auf die kommenden Dichtergenerationen noch eine leHte Möglich-
keit der Wirknng haben!

Lldolf Loos

I k s an baute eiu Haus in Wien. Es war eiu Haus mit Schaufenfterfronten,
^ ^mit Geschäftsräumen durch zwei Stockwerke hindurch und mit vier Wohn-
geschossen darüber. Also nichts sonderlich AufregendeS. Ein neuzeitliches schlichtes
Geschäfts- und Wohnhaus. Es stand am Michaelerplatz, der Kaiserburg gegenüber,
und fteht heute noch dort. Seit 1910.

Als es etwa im Rohbau fertigftand, erkannte man, gerade noch rechtzeitig, welch
frevelhafter Anschlag auf das Stadtbild Wiens verübt war. Ein Sturm braufte
durch den Wiener Zeitungswald. Was da entftehe, sei eine „Miftkifte", ein „Kanal-
gitterhaus", das „Haus ohne Augenbrauen". Die „Neue Freie Presse" schrieb:
„Zn den öden Fenfterhöhlen wohnt daS Grauen." Ein Professor aber gürtete sich
mit dem ganzen Stolze des Fachmannes, des Äfthetikers und Städtebauers, und
bewieS klipp und klar, das Werk sei unverantwortlicher Dilettantismus, da es keine
Kuppel habe, die es der Hofburg und dem Stadtbild nun einmal schuldig sei.

* Bei Güntter sieht hier hinter Löhnung ein Komma, das den Sinn besser trisst. Oenn
das Ausrusungszeichen untcrbricht allzu schars den Nhythmus. Die Melodie des Derses
sagt von selbsl, waS der logische Ruhepunkt nur becinträchtigen kann.

M
 
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