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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 7 (Aprilheft 1931)
DOI Artikel:
Weber, Leopold; Trentini, Albert von; Bartels, Adolf: Georg Dietrich Wilhelm Callwey zum Gedenken
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Nein und Ja zur Kunstpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0498

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Nem und Ja zur Z^uust^stege

Von Wilhelm M ichel

.s)weierle: steht sich heute in Dingen der Kunst gegenüber: die gegenwärtige
^)geistige Problematik der Kunst, die sich ausdrückt in der
Schwierigkeit, den Wert „Kunst" innerhalb der Architektur, im Wohnraum
und weiter hinaus in der Deutnng des Lebens zur Geltung zu bringen — und
das Interesse an der „Funktion Kunst", die wir aus dem Ganzen unsres
Volkslebens nichk können schwinden lassen, weil zu klar am Tag liegt, wie
vieles von unserem Menschentum an ihr hängt.

Wo man nur die heutige Problematik der Kunst ins Auge faßt (das sind Kreise
der Kritik, der Architektur, der literarischen Zeitbetrachtung, der poljtLsch und
sozial Interessierten), da wuchern die Zweifel und die Llblehnungen: Fort mit
den Llusstellungen! Fort mit der Pflege der mittleren Begabungen! Fort mit
Malcrei und Plastik aus den Häusern, ans den öffentlichen Gebäuden, selbst
aus den Kirchen! Die Kunst führt nicht mehr das „Wort", sie sgricht nicht
rnehr, selbst wenn sie redet. Es handelt sich für den heutigen Menschen um das
reale Ergreifen der Wirklichkeit, nicht um abständliches Beschauen nnd Denken.
Die konkreten Werte und Güter haben gegen früher eine gewaltige Kuwer-
höhung erfahren. Auf niederer Ebene drückt sich das so aus, daß das Lluto,
die Reise, die gepflegte Kleidung, die höhere Lebenshaltung oder wenigstens
der Llnstrich davon den Vorrang haben vor den Werten der Kunst. 2lber auch
in höheren Bereichen gibt es dazu eine Entsprechung. Lluch im Geistigen gibt
es den Zug zur „Wirklichkeit". Das neue Denken fühlt sich auf den „einzel-
nen Fall" verwiesen, es fühlt sich verpflichtet, ein funktionales, arbeitsteiliges
Denken zu sein, das hart am Leben und an der „Situation" bleibt. Es ist in
mcderen wie in höheren Bereichen dieselbe Tendenz, und fie bringt nebeneinander
Gutes und Schlimmes, Förderliches und höchst Fragwürdiges hervor.

Die veränderte SchäHung der Kunst ist es, die im Zusammenwirken mit der
augenblicklichen Wirtschaftskrise die schwere Notlage der Kunst hervorbringt.
Hätten wir nur mit der Wirtschaftskrise zu tun, stünde mitten in der wirtschaft-
lichen Bedrängnis die W erLung der Kunst noch unerschüttert da — so wäre
die Kunst nicht in Not. 2lber diese Wertung i st erschüttert und deswegen läßt
man die Einsparungszwänge unverkürzt auf die Kunst niederwuchten. 22icht
daß die Tausendmarkscheine der großen Mäzene nicht mehr für die Kunst flüssig
sind, sondern daß ihr der Groschen fehlt, der Groschen des kleinen Mannes,
der vielen kleinen Aufträge und Käufe, der Groschen einer kräftigen, lebendigen
Kunstliebe — das hat zu der Berelendung im Felde der Kunst geführt.
Kunßkälte und Banausentum hat es immer gegeben. 2lber sie hatten immer
dabei etwas wie ein schlechtes Gewissen. Hente gibt es eine Kunstkälte, die das
beste Gewissen von der Welt hat; und die dieses gute Gewissen nicht etwa des-
halb hat, weil sie mit massivem Stumpfsinn, mit einer Blödsichtigkeit gegen-
über der Kunst einherginge, sondern weil die Zeit selbst, dieses namenlose Bei-
einander von Trieben, Wertsehungen, Gemeinplätzen und Suggestionen, die
Knnsikälte billigt und ihr eine geistige Würde gibt. Wir wissen das alle von
uns selbst. Wer das Leben dieser Zeit mitlebt, kommt um seinen 2lnteil an den
modcrnen Kunstzweifeln nicht herum. Er wird vor die problematische Stellung

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