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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 2 (Novemberheft 1930)
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Umschau

Hundert Iahre Berlmer Museen

Das Berliner Museum war die letzte der
großeu Staatssammluugen iu Europa,
und in gewissem Sinne ist eS noch heute
die jüngste: wie Alterökinder oft ein biß-
chen schmächtig, aber eigenartig intelli-
gent. Eö entstand unter besonders gün-
stigen Auspizien: zwei GenieS schufen sein
ffnneres und sein AußereS. Schinkel
formte durch Zuschüttung eineS Spree-
armS den Platz und in dem ruhigen Säu-
lengang über der breiten Freitreppe eine
der in Berlin so seltenen, völlig unnützen
Baugestalten, die noch dazu das einem
Museum so bitter nötige Licht auf einer
Längsseite ausschaltet — und mit ihr die
für Berlin neben dem Brandenburger Tor
wahrhaft unvergeßliche Front, die sogar
durch den Neuen Dom daneben nicht zu-
grunde gerichtet werden konnte. Es ver-
dient vermerkt zu werden, daß damals
nur eine Stimme in der Kommission ge-
gen den Plan war; allerdingS hieß ihr
Borsitzender Wilhelm von Humboldt.
Humboldt hat dann die Grundzüge der
Verwaltung und der Vermehrung fest-
gelegt, die im Grunde noch heute gültig
sind. Die Bestände allerdingS konnten
sich mit denen der älteren Schwestern
nicht messen, wenngleich sie schon bei der
Erösfnung so zahlreich waren, daß wich-
tige Abteilungen in Monbijou unterge-
bracht werden oder im Schloß bleiben
mußten. Sie zählten eigentlich nur zwei
Stücke von Weltberühmtheit: den be-
tenden Knaben und daS Genter Altar-
werk, welcheS für hunderttausend Fran-
ken einem belgischen Kunsthändler von
Solly abgekauft und mit der ganzen
Sammlung für das Museum erworben
worden war. Humboldt empfahl dar-
um dringend, die Mittel zu sparen, um
bei günstiger Gelegenheit wenigstens ein
paar der gähnenden Lücken durch wirk-
liche Meisterwerke zu füllen; aber diese
Mittel waren meist recht knapp zugemes-
sen und reichten oft genug nicht auS; oder
derWeg über die halbhöfische Jnstanz des
Kavalier-GeneraldirektorS funktionierte
nicht. Auch Waagen, der erste Direktor
der Gemäldegalerie, meinte zwar: „Der
erste und höchste Zweck eines MuseumS
ist, die geistige Bildung der Nation durch

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die Anschauung des Schönen zu fördern.
Erst der zweite Zweck ist der historische."
Aber das blieb hier Theorie, nnd gerade
er selbst stellte zum erstenmal einen be-
sonderen TypuS vor, der seitdem in Ber-
lin nicht wieder verschwinden sollte: den
Kenner mit dem für Außenstehende faft
unglaublichen Gedächtnis für Form. Als
im Jahre 1860 daS fünfzigjährige Be-
stehen öer Museen gefeiert wurde, war
dann schon längst der Mann am Bau,
wenn auch scheinbar noch an bescheidenerer
Stelle, dessen Wirken zumeist an Waa-
gen anknüpfte, der das Museumswesen
der ganzen Welt entscheidend beeinflus-
sen und die Berliner Jnstitute in die
kleine Reihe der wichtigsten erheben sollte.
Natürlich hatten sich schon damals die
Sammlungen stattlich vermehrt. AuS der
Königlichen Kunstkammer war das Kunst-
gewerbemuseum, aus der kleinen ethno-
logischen Sammlung das Museum für
Völkerkunde geworden, deren Eröffnung
um jene Zeit bevorstand. Das erste Ent-
lastungsgebällde war sogar schon i6Zg
vollendet: das neue Museum mit der nn-
glückseligen Riesenhalle für Kaulbachs
Geschichtsunterrichtsfresken. DaS ganze
Mittelgeschoß gehörte zudem der Samm-
lung der GipSabgüsse. DaS historisch-
doktrinäre Element, zu Anfang durch den
Zufall verschiedener, zusammentresfender
Erwerbungen veranlaßt, aber sofort be-
merkt und begrüßt, hatte sich trotz aller
guten Vorsätze das ganze Halbjahrhun-
dert durch gehalten, ja verstärkt, und auch
heute noch ist dieses Gesetz, nach dem öie
Sammlung ihr Dasein angetreten, mit
gleicher Stärke wirksam, ohne allerdings
nun noch so viel Schaden anrichten zu
können. Damals, wo noch zu vieles im
halben Licht lag, war die Sucht, zu er-
kennen und zu wissen, noch so stark, daß
man z. B., vor die Wahl gestellt, die letzten
noch erwerbbaren Zeichnungen Michel-
angelos oder zu gleichem Preise die GipS-
abgüsse der Kolosse des Monte Cavallo
zu erwerben, die letzteren wählte. Und
immer und immer wieder, ja noch heute
werden die Berliner Museen mit der
Sorge und den Kosten der Abgußsamm-
lungen belastet, für die, da sie zum Stu-
dium der Formen nun einmal schwer ent-
behrlich sind, im Laufe der Zeit eine un-
 
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