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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 9 (Juniheft 1931)
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Ullmann, Hermann: Stein und wir
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Alverdes, Paul: Katreiner hat ein Gesicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0644

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Führer für rrns. UnLer seiner Führung war das deutsche Volk das ersle Mal,
wenn anch nur für einen visionären Augenblick äußerster Anstrengung und
Lebensnot: eine politische Nvtion. Es erlebte sich zum erstenmal in seinm
Möglichkeiten zur politischen Einheit. Die Nation sammelt sich zur Abwehr in
außerordentlicher Gefahr und sieht ein Bild ihrer selbst im Sturm der
Zeit. Sie gewinnt vor sich selbst Gestalt. So wie ein Mensch in äußerster
Not über sich selbst hinauswächst und dieses Erlebnis seiner gesteigerten und
gesammelten Kräfte in ihm weiterwirkt, so war die Nation über sich selbst und
ihren Zustand hinausgewachsen. Sie kann diesen Zustand nicht festhalten.
Aber das ungeheure Erlebnis wirkt in ihrem Bewußtsein weiter. In dem
Staatsbild des Freiherrn vom Stein vollzog sich die Geburt, oder wie er
selbst gesagt haben würde: die Wiedererweckung der politischen Nation und
damit auch des deutschen Staates. Für ihn reichte ja die Wurzel seiner
Gegenwart unmittelbar ins mittelalterliche Kaisertum hinab. Zwischen jener
Geburtsstunde der politischen Nation und unserem heutigen staatlichen Zu-
stand liegt viel Llmweg, Kampf und eine Teilverwirklichung, die vieles ab-
schneiden mußte, das im Staatsbild Steins noch als Zukunftsmöglichkeit lebt.
Das macht uns dieses Staatsbild so teuer: daß es noch Ilnverwirk-
lichtes enthält, Möglichkeiten, die sich damals in enger Verbindung mit
den Kräften des deutschen Volkes gezeigt haben und die noch vor uns stehen,
sofern es uns vergönnt ist, uns zu vollenden. In jenem Staatsbild sehen wir
uns zum Ilnkerschied von jenen Generationen, die „saturiert" waren, noch als
werdende Nation. Das was Stein sah, liegt nicht hinter uns, sondern —
den Schluß des Schicksals vorbehalten — vor uns, und seine gewaltigen, da-
mals so einsam hallenden Worte fangen sich nicht in dem geschichklichen
Naum vor uns, sondern tönen über unsere dunkle Gegenwart in eine von
uns demütig erhofste Zukunft hinein:

„Ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland und da ich nach alter
Verfassung nur ihm und keinem besonderen Teil desselben angehöre, so bin
ich auch nur ihm und nicht nur einem Teile desselben von ganzem Herzen
ergeben. Mir sind die Dynastien in diesem Augenblick großer Entwicklung
vollkommen gleichgültig, es sind bloß Werkzeuge. Mein Wunsch ist, daß
Deutschland groß und stark werde, um seine Selbständigkeit, Unabhängigkeit
und Nationalität wiederzuerlangen und beides in seiner Lage zwischen Frank-
reich und Rußland zu behauyten. Das ist das Jnteresse der Nation und ganz
Europas."

Katreiner hat em Gehlht

Von Paul Alverdes

^Ntremer erwachte mitten in der Nacht. Es war ihm, als schrien Vögel.
^^Nun hörte er auch das Schwirren und Brausen über das Haus weg und
wieder die hohen Schreie. Danach war es schon fern, aber es erneute sich
und kam wieder heran und rauschte und flatterte wie Tücher und Fahneu im
Wind. ,Das sind große Schwärme/ dachte er, ,vielleicht siud es Kraniche
oder wilde Schwäne, und die Führer rufen einander durch die Nacht/ Er
sehte sich im Bette auf und horchte; aber jetzt vernahm er es nur noch ganz in

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