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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1931)
DOI Artikel:
Christ, Lena: Im Waldhaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0736

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Jm Waldhaus

Von Lena ChrisL

^Ia ich wieder erwachte, sah ich über mir einen bemalten Betthimmel; die
^-^gekrönLe Iungfrau blickte auf mich hernieder, und luslige Engel nm-
schwebken sie und hielken ihr Gewand. GeblümLe Vorhänge hingen Zusammen-
geschoben von dem Baldachin herab, und ein roLhaariges Mädchen band sie
eben an den gedrehLen Säulen des Lagers fesl.

Ich blickLe verwunderL bald auf das Mädchen, bald auf mein BeLL, und es
war mir, als LräumLe ich; aber das Müdchen redeLe mich, da es meine Augen
offen sah, sogleich an und fragLe: „HafL du DurfL? LiegfL du gnLd"

„Ia," sagLe ich bloß; da brachLe sie mir ein Krüglein miL einem Trank und
meinLe: „GuL fchmecken LuL's ja nichL; aber die HiHe nimmL's!"

Ich Lrank gierig, und sie fLüHLe mir dazu mein Hanpt miL dem Kissen, indem
sre Lhren 2lrm darunLerfchob. Dann legte sie mich wieder hin, holLe sich das
Spinnrad aus der Ecke, in der ich auch einen alLen Hausaltar erblickLe, seHLe
sich neben das BeLL und spann.

Da überkam mich eine große, wohlige Ruhe; meine Wunden brannLen nichL
mehr wie vordem, und ich fühlLe, daß ich nun wieder lebLe und gesund würde.
Wach einer Weile, während der ich nur das Schnurren des Spinnrads,
das Summen der Fliegen und das hackende TickLack der hohen Standuhr
vernahm, LaL sich die Tür auf und ein alLes, runzliges Weib LraL lanLlos
ein und ging auf mein Lager zu.

„Er ifL ja munLer!" meinLe sie, da sie meine offenen Augen sah; „jeHL muß
er aber essen, der Burfch!"

Ich versuchLe zu reden und fragLe, wo ich denn sei. Da sagLe sie: „Gut auf-
gehoben. Frag nichL und sorg dich nichL; du mußL wieder werden."

Darauf nahm sie mir meine Kopfbinde ab, LanchLe sie in eine Schüssel und
legte sie mir wieder an; auch sLrich sie etliche PflasLer auf leinene Lapgen und
beklebte damiL meine Wunden und sagte dazu: „Einen guten Gsund hafL fchon,
Bub! Das hälL der zehnte nichL aus! Ich hab fchon gefürchtet, daß ich dem
ToLengräber das Maß bringen müßL für deine Gruben; aber jeHL hafL
du's gewonnen!"

Darauf kniete sie sich an das BeLL und betete dieses GebeL:

„Eö reiten siebenundsiebzig Diebe hinaus,

Sie reiten sür eines Menfchen HauS.

GoLL der Herr sprach: Ihr Reiter, mo wollL ihr hinaus?

Wir wollen in eines.Menfchen Haus

blnd wollen ihm nehmen sein Fleisch und sein BluL

Und wollen ihm nehmen sein Freud und sein Mut.

GotL der Herr sprach: Siebenundsiebzig Fürsten, das sollt ihr nicht Lun,
Ihr sollt ihn lassen liegen und ruhn.

Ihr sollt ihm lassen sein Fleisch und sein BluL
Und sollet ihm lassen sein Freud und sein MuL.

Es gehe über dich bald der Segen GotLes des BaLers, der Segen des Sohnes
und der Segen des Heiligen GeisteS. Amen. Es sollen vergehen deine siebenund-
siebzig Fieber im Namen des höchsten GoLteS. Amen."

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