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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 9 (Juniheft 1931)
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Trentini, Albert von: Die Gottlosen über Deutschland
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0693

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übersehen, in der, ob sie es nun selber wissen und wollen oder ni'cht, ihr Grundgehalt
trotz aller Abweichungen in ^sdeologie und Ternnnologie zum Ziel deS Gottlosen-
kampss steht? Und daß die Goktlosen, denen man alleS, nur nicht den Mangel an
Spurnase fur „Gelegenheiten" nachsagen darf, nicht zögern werden, sich der Kuppler-
dienste auch dieser, erst noch wenigen esoterischen Wegbereiter zu bedienen? Zweifel-
los, all sene, die von der Znkunft, und wärs auch um den Preis deS vollkommensten
Chaos, nichts anderes mehr als die Geburt des sogenannten „freien Menschen", und
das ist, des gottunabhävgigen Herren seiner selbst und der Welt, begehren und er-
warten: die haben keinen Anlaß, sich aufzuregen. Für den Gottgläubigen „ohne
allen blnterschi'ed des Bekenntnisses" hingegen kann es heute, er wende die Frage
wie er wolle, nur noch eine einzige Haltung geben: Gottesglaubeu in jeder Form, in
der er ihn heute noch antrisft, am bewußtesten aber gerade in seiner einfachsten, ein-
fältigsten, symbolbestimmtesten und daher bindefähigsten Gestalt mit allen seinen
Kräften, ja, wo es nötig sein sollte, auch unter entschlossener Zurückstellung seines
eigenen höchstpersönlichen „Gotteserlebnisses" zu bejahen, zu stärken und zu pflegen.
Entschließt er sich nämlich nicht zu dieser Haltung, dann wird er sich eineS TageS
nachsagen lassen müssen, daß er den Untergang eines Äons mitverschuldet habe, den
seine Menschen für bereits „überlebt" erklärten, weil sie zu faul oder zu hochmütig
geworden waren, um ihn zu „vollenden". Albert von Trentini

Umschau

Frankomanie links und rechts

s ist eine alte Sache, daß bestimmte
Kreise in Deutschland, besonders un-
ter linksstehenden ffntellektuellen, in einer
äußerst heftigen Weise auf die typische
französische ZivilisationS- und Humani-
Lätsphraseologi'e ansprechen. Sie braucht
nur irgendwo entfesselt zu werden, damit
hier das Entzücken keine Grenzen fin-

det. Es hängt mit dem nahezu physio-
logischen Charakter dieser Reaktion zu-
sammen, daß sie sich fast unfehlbar ein-
stellt — mögen jene Reiznüttel mit der
Wirklichkeit in noch so krassem Gegen-
satz stehen. Eine Desi'llusionierung ist

hier fozusagen a priori unmöglich. Andre
Gide nennt (in seinem Buche^Ineiclon-
ees") diese Kreise Frankreichs Geiseln

und seine geistige Fremdenlegion. Da

im französischen Bolke keine Empfindung
für die tiefe Unsittlichkeit schon des Ge-
dankens der Fremdenlegion vorhanden
zu sein scheint, so wird man sich nicht
wundern können, daß es auch solche gei -
sti g e n Schutztruppen als einen Haupt-
faktor seiner Kultur- und Machtpolitik
im Ausland aufs geschickteste verwen-
det. Es ist ungemein praktisch, unter
seinen Abhängigen Menschen zu haben,
die sich an Redensarten zu wärmen
wissen, wenn es sie friert, und sich mit
RedenSarten zu sättigen, wenn eS sie

hungert. Das Tiefere allerdings dahin-
Ler — und was eigentlich dieses Treue-
verhältnis begründet — ist die unbe-
dingte Selbstsicherheit des Franzosen in
allen Fragen Himmels und der Erde.
Nichts ist unter den Menschen so be-
gehrt wie Selbstsicherheit, und wo sie
verläßlich auftritt, findet sie immer Ge-
folgsleute genug, welche schon mit ihr
selbst sich reichlich belohnt fühlen. Da
ist es schließlich nur logisch, daß sich
neuerdings auch rechtsstehende Kreise in
Deutschland finden, welche in der glei-
chen Weise Frankreichs Reizen zum Opfer
fallen. Wenn jene sich an den mensch-
lich-individualistischen Aufputz halten, so
halten sich diese an den konservativ-
autoritären Kern, Frankreichs Familien-
sinn, seinen Traditionalismus, seine über-
und antiindividualistische und zugleich un-
soziale Einstellung, sein eisernes Natio-
nalgefühl. Das gibt die Gefühlsgrund-
lage ab, auf welcher sich der Anschluß
dieser Rechtskreise vollzieht. Allein nie-
mals würden sie sich zu einer gefühls -
mäßigen Stellungnahme bekennen; ihr
Stolz ist die R e a l p o l i L i k. Sie sa-
gen: Frankreich hat heute alle Macht
in Europa, dagegen hilft nichts, man
muß das als festen Faktor in der Nech-
nung obenanstellen. — Realpolitik ist
gut; aber sie muß wirklich realistisch sein,
und ferner muß sie auch die reale

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