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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 6 (Märzheft 1931)
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Hardy, Thomas: Das Grab an der Straße
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Aus Christian Wagners Dichtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0440

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Ferne schwache Töne vernahm. Bald darauf erklang eine Melodie unmiLLel-
bar vor seinem Fenster. Es waren die WeihnachLssänger, die wie gewöhnlich
ihre Runde machLen. Und obwohl nun schon viele von den älLeren Sängern
und MusikanLen LoL waren — unLer ihnen auch Ezra und LoL —, so sangen
und spielLen sie doch noch immer dieselben alLen Lieder aus demselben alLen
Buch. Und so erLönLe auch durch das Fenster des SergeanLen jenes alLe
bekannte Lied herein, das die WeihnachLssänger einmal am Grab seines
VaLers gesungen haLLen:

„Er kommL, uns 2lrme zu besreien
2lus SaLans höllischem Kerkerzwang."

2lls sie ihren VorLrag beendet haLLen, zogen sie weiLer zum nächsten Haus
und überließen ihn von neuem der Skille und der EinsamkeiL.

Die Kerze slackerte schon und verlangte nach der LichLschere. 2lber Luke dachLe
nichL daran, sie zu putzen. Er saß unbeweglich, bis sie ganz niedergebrannL
war und dichte Rauchschleier an die Decke enLsandte.

Die sröhliche Stimnmng des WeihnachLsseierLages wurde am nächsten Mor-
gen jäh durch eine RkachrichL gestörL, die blihschnell durch das ganze Dorf
lies. SergeanL Holway war erschossen an jener SLraßenkreuzung ausgesunden
worden, wo sein VaLer begraben lag.

2lus dem Tisch seines Häuschens haLLe er ein Payier zurückgelassen, woraus
sein Wunsch ausgesprochen war, daß man ihm beim Wegweiser neben
seinem Vater begraben möge. Aber das Papier war zufälligerweise auf den
Boden gesallen und wurde erst entdeckt, als das Begräbnis schon vorüber
war, das in der üblichen Weise auf dem Friedhos in Chalk-NewLon statL-
gefunden haLLe.

2lus ChrisLian Wagners DichLungen

(Verlag Adolf Bonz ök Co., Stuttgart)

Szilla

Weil von italischem Strand mich entführte der römische Siedler
Heimlich bei Nebelgewölk her nach deS NeckarS Gestad,

Fst mein Erwachen so früh und verwundert. — Die Haine deS 2lbaumS
Miss' ich noch heute. Verdenk nimmer es Szilla, der Magd!

„Ob am Fensterbrett wir Nelken stehn,

Frifche Lust und Morgentau zu saugen,

Oder braun und blaue Mädchenaugen
Durch die Scheiben aus die Gasse spähn;

Ob am Fensterbrett wir Nelken blühn,

Voll entströmend unsre Duftgesänge,

Oder ob der Spinnerinnen Klänge

Süß und klangvoll durch die Nacht verglühn;

Wessen Geist als Wunderflocken auch
Uns verstreute aus die Erdenhügel:

Flocken sind wir von dem gleichen Flügel,

Stimmen sind wir von dem gleichen Hauch!"
 
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