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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 9 (Juniheft 1931)
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Carossa, Hans: Geschichten aus meiner Kindheit
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Diesel, Eugen: Die Entartung des Praktischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0673

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der zarten Gespielm wieder einmal entzündlich gerötet waren, hatte ick> sie
gehaßt nnd verslucht, nur weil mich der Anblick dieses Übels sedesmal so hefLig
angriff, daß mir wie von zerfchniLLenen Zwiebeln die eigenen Augen über-
gingen! Dies und ähnliches lebLe wieder auf; das ganze Wesen drängLe zu
LäLiger Reue, und Eva war viel zu lebensvoll, um niöhLs davon zu spüren.
Wenn wir uns also nun wechselseiLig nn'L immer neuen, dem VaLer enLwen-
deLen Gazeftreifen bald eine Hand, bald einen Fuß, bald Stirn und Augen
weiß umbanden, so haLLe das jedesmal einen besonderen, sehr innigen Sinn
von Buße, Verzeihung, Hingabe. Mir war fchließlich der ganze Tag nur
noch eine Vorfreude auf dieses fchweigsame, in Form eines Verbandknrses
ablaufende Zwiegespräche, in welchem wir uns immer Größeres zu sagen
suchLen.

Die EntarLung des Praktischen

Von Eugen Diesel

nsere energifche, ftark bewegLe ZeiL bietet nn'L ihren menfchheitlich-univer-

"^^salen Beftrebungen inrm'LLen eines von heftigen Spannungen durchzoge-
nen Chaos zweifellos einen höchft großartigen Anblick dar. Dies leugnen auch
keineswegs diejenigen Menfchen, welche unter dem Mangel einer echten seeli-
fchen BewegLheiL, also einer wahren KulLur, welche unter der zwangvollen
Mechanik der Epoche und der BerfchüLtung beglückenden MenfchenguLes am
allermeiften leiden. In ihnen drückt sich der Dualismus des ZeiLalLers am
ftärkften aus; denn sie blicken auf das Verheißnngsvolle der WelLlage ebenso
bewußL wie in die grenlichen Abgründe seelenloser Barbarei. Die überrafchen-
den MöglichkeiLen der ZeiL sind eben noch kaum wirksam geworden, weil
der Geift einer neuen Weltmechanik zunächft unfähig zu sein fcheinL, zu den
lebendigen Voranssetzungen für eine wahre KulLnr zurückzufinden.

Wir wissen nichL, wieviele es sein mögen, die um eine würdigere Zu-
kunfL ringen, denen ein Zuftand nichL genügL, in welchem eine rein mechanifche
GroßarLigkeiL die feinere Musik einer wahren Kultur übertönL. MelleichL
sind es nichL wenige. Wir mögen fchon den Punkt erreicht haben, an dem
von allen SeiLen her lebendige Scharen zu gemeinfchaftlichem Marfch auf
einer neuen Straße der MenfchheiL sich zu sammeln beginnen.

Wer dieser lebendigen, also nichL der mechaniftifchen* ParLei angehört und
eine WiLLerung für solche geiftigen, besser gesagt seelifchen Strömungen be-
sitzt, der wird die Fanfare des beginnenden Kampfes zwifchen einem neuen
Idealismns und dem mechaniftifchen WelLphilifterium bereits vernehmen.
Dieser Kampf um eine bessere ZukunfL, als sie die öde Wiederholung oder
MulLiplikaLion berecheubarer Ziele bieten kann, ift der fchönfte Inhalt unserer
ZeiL. HebL sich doch die menfchliche Beftrebung hierbei als Einheit deutlicher

* JILechanistisch hier nicht etwa im Sinne von „technisch", sondern im Sinne von unlebendig,
von höheren Oingen nicht ergrissen. Oer Kampf um eine neue Kultur kann hch nie gegen die
Technik als solche richten, sondern nuc gegen unmenschlich angewandte Technik, gegen das tech-
nische Philislertum, das aus dem großartigen Jnstrument der Technik ein Werkzeug philiströser
Bergewaltigungen geschasfen hat. AllerdingS wird der Gegner dieses PhilisteriumS heurzutage
soforr alS Feind „der" Technik auSgeschrien, wobei meistenS unklar bleibt, was man unter
Technik versteht.

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