Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1931)
DOI Artikel:
Alverdes, Paul: Der Fall Penzoldt
DOI Artikel:
Linfert, Carl: Gibt es eine junge deutsche Kunst?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0605

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
geschieht aus einer Berkümmerung und Verdorrung des Weltgefühls heraus, tvelche
es unsähig macht, das Leben noch als die Einheit von Geist und Materie zu begrei-
sen. Trennen sich die beiden, so tritt der Versall ein, das gilt sür den einzelnen tvie
sür die Nation. Diesen Abgrund zu wünschen und, tvo immer er sich össnen tvollte,
zu vertiesen und unüberbrücklicher zu machen, tvar bisher das Geschäst der Spießer
aus der einen, und das der nihilistischen Jntellektuellen auf der andern Seite, tvelche
beiden Gruppen inniger miteinander verwandt sind, als sie es wahrhaben wollen.
Wenn die ^ustiz einen Sinn haben soll, so kann es kein anderer sein, als zu schützen
und zu heilen, wenn nötig durch das vorbeugende Beispiel der Strafen. Mit Urteilen
aber wie dem Münchner Urteil gegen die Dichtung gibt sie den Krankmachern selber
das Necht, sich auf das Beispiel des Arztes zu berufen. Paul Alverdes

Gibt es eme junge deutsche Kunst?

^^eute darf man schon so fragen. Denn es gibt keine Kunstrichtung, die durch
'^^stärksteBetonung, besonders aber durch Anwendung eines bestimmtenPrinzips
auf alle etwaigen Formmöglichkeiten, sich weit herausstellt aus den weniger scharfen
Kunstbetätigungen. Gäbe es eine solche Richtung, so würde sie wohl für sich in An-
spruch nehmen, der jüngste Ansatz zur Formbildung und also die „junge deutsche
Kunst" zu sein. Aber es gibt vorwiegend Einzelgänger oder Nachläufer. Jhre
Tonart ist durchaus von einem bestimmten Zeitzustand hervorgebracht, aber sie ist
richtungslos zerspalten. Es gibt sehr wichtige Erscheinungen darunter. Aber die
Künstler manifestieren eben nicht mehr m Gruppen für das Bild, das sie
uns von der Welt geben wollen (wie die Futuristen, die „Brücke", die Vslori
pisstici usw.). Auch ist der Bereich, auf dsn heute die Wertvollen zusteuern, nicht
mehr so sehr „System" wie für jene Bewegungen, es gibt nicht mehr so sehr den
revolutionären Einheitsduktus. Statt an das Systematische neuer Bildformprogramme
gehen die Künstler heute meist stumm und auch verbissen an das Konkrete heran,
das ihnen der Augengeist aller bildkünstlerischen Gestaltung vorstellt und aufgibt.
Das ganz Konkrete, das Einzelne schon enthält das Problem, daS früher erst im
System, in der systematischen Umwühlung eines bis zur Selbstfälschung eingelebten
optischen Erlebnis-„Systems" gefunden wurde. Heute muß man sich konkret gegen
ganz konkrete Zustände wenden oder zum mindesten um sie kümmern. Damit ist
auch gesagt, daß diese empirische Haltung, die heute wie auf allen Geistesgebieten
auch auf dem der Künste vorkommt, nicht platt oder gar „naturalistisch" ist; son-
dern sie will es nur genau nehmen mit dem Problem, und also mit deni Geistigen,
das in jeder echten Frage nach dem Wieso der Erscheinungen und Dinge liegt.
Deshalb also ist sie Empirie. Sie will keine Luftschlösser, aber keineswegs statt dessen
die Plattheit. Auch die Malerei ist eine solche Frage nach dem Wieso und niemals
eine Registratur, eine Nepetiereinrichtung der Welt, die ja schon da ist. In einer solchen
Lage der Kunst kann sich vielerlei verbergen, was unecht oder zum mindesten be-
deutungsloS ist. Da die Richtungen sich nicht mehr propagieren, haben wir um
so mehr Grund, die Kunstäußerungen jedes Einzelnen genau zu nehmen. Wir müssen
wägen und unterscheiden, lange ehe wir zur Entscheidung kommen, die vielleicht
nicht für ein einziges Kunst-Ergebnis sprechen darf. Wahrscheinlich müssen wir unS
vor allem bemühen, den gemeinsamen Grund zu erfassen, der sehr verschiedenartige
Erscheinungen der heutigen Kunst trägt: dann ist es denkbar, daß, über die erkennt-
ni'Smäßige Analyse disses EinheitsgrundeS hinaus, die Künstler selbst unmittelbar
und übrigens mit Hilfe einer Vereinheitlichung der Formmittel (dke man früher
„Stil" nannte) bis auf den Punkt vorstoßen, der vorläufig nur dunkler Anlaß
ihrer gebrochen suchenden, gegen gemeinsame Richtung mißtrauischen Kunstformsn
ist. Vielleicht, daß sich dann der „Anlaß" als fester „Jnhalt" herausstellt. —

527
 
Annotationen