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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 12 (Septemberheft 1931)
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Jostock, Paul: Entproletarisierung
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Berrsche, Alexander: Wenn man von Salzburg nach München fährt
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0893

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meme Überzeugung von der ungesundeu Mischung unserer heutigen Agrar-
und Indusiriewirkschast eineu richiigen Grundzug der Resorm, die uns noi-
Lut, wiedergibt.

Falls es gelingt, einen Teil der proletarischen Indusiriearbeiter zn mehr oder
weniger selbsiändigen gewerblichen Exisienzen zu besördern und den übrigen
Teil, LroH seiner FabrikarbeiL, in seinen Wohn- und ArbeiLsbedingungen dem
ländlichen Leben und der N'aLur wieder näherzubringen, so wäre eine ersie
VorausseHung sür den inneren Frieden und die wirLschastliche Wohlsahrt,
aber anch für eine neue BlüLe der deutschen KulLur geschassen. Die groleta-
rische Lebenslage isi ihrem Wesen nach kulLurunfruchLbar und sogar kultur-
seindlich. Es fehlt ihr die Sonnenwärme, die neues Leben entzündet und die
allem WachsLum das Gedeihen gibt. Die BeseiLigung dieses Znsiandes, der
einen so großen Bolksteil in seinen besien KräsLen lahmlegt, der das Volks-
Lum nnd die kulturelle TradiLion bereits weithin zu zersetzen vermochte, muß
daher als die dringlichsie Llusgabe der WaLion angesehen werden.

Wenn man von Salzburg nach München fährt

Von Alexander Berrsche

^^ch haLLe gerade noch den Zug erreicht. Der „Fidelio" unter Schalk war spät
^)zu Ende gegangen, und der Chansseur haLLe gegen ein Trinkgeld das Äußersie
gewagt. AbgespannL und benommen von der herrlichen Salzburger Anssührung,
sank ich in die Polsier meines Platzes, sesi enischlossen, schon vor Freilassing
selig einzuschlafen. In die Klänge „mir isi so wnnderbar" mischte sich schon
Lräumerisch die KanLilene: „On ost prls, cls ns pas 86 86rvir", da siörte mich
ein wohllautender HeldenbariLon ans. „Sie können nur jammern", sprach er,
„das isi billig; gewisse Lenie haben immer gejammert, weil sie sonsi nichts
können. GoLtsched jammerte über Lessing, Lessing über GoeLhe. Goethe
glaubte, daß mit Kleisi die Barbarei über die DichLkunß hereinbräche.
Schanen Sie hin, wo Sie wollen, überall und in jedem ZeiLalLer haL man
das Ende der Kunsi groghezeiL. 2lber das alles isi noch lange nichL so
merkwürdjg, wie die TaLsache, daß Ihr nichts daraus lernen wollt!"

GuL gesagt, dachte ich mir und sah den Sprecher an. Es war ein Abgeord-
neter, der mich vor Iahren leutselig angesprochen haLLe. Ich grüßte ihn und
legte in meine Berbeugung die zerknirschte DevoLion dessen, dem das Mal-
heur passierL isi, einen AbgeordneLen übersehen zu haben. Ehe ich noch über
mein Mißgeschick nachdenken konnte, antwortete die scharse Stimme seines
Gegenübers: „Sehen Sie, das isi das Einzige, was Sie nichL häLLen sagen
dürsen. Unter allen Melodien, die heute in DeuLschland gesnngen, gedudelL
und gepfissen werden, isi die Weise des ollen ehrlichen Ben Akiba sami allen
BariaLionen die unmöglichsie, die kompromiLLiertesie. NckiL dieser Melodie
habL Ihr Schlasmützen uns schon im Krieg einlullen wollen. 2lchL Tage vor
dem Wassensiillsiand habi Ihr uns vorgesungen, daß das deuLsche Bolk
nichL besiegL werden könne. In Euerer gedankenlosen SnchL nach 2lnalogien
kommL Ihr nichL dazu, das GegenwärLige schars zu beobachten und es in
seiner besonderen, snrchtbaren EigenarL zu begreisen. Daß es nichts Äleues
unter der Sonne gibL, daß ZeiLen nnd Menschen einander ähnlicher sind als

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