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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1931)
DOI Artikel:
Ullmann, Hermann: Stein und wir
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0635

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XXXXIV.

Stein und wir

Zum 100. Todestage des Frei'herrn vom Stein
Von Hermann Ullmann

^>as deutsche Volk hat m seiner Geschichke mehr als irgendein anderes
^^Persönlichkeiten, die es durch Sonderleistungen größten Ausmaßes reprä-
sentieren. Es ist das Volk der großen Spezialisten. Die dentsche Geschichte
verlief seit dem Ansgang des Mittelalters in so ßarken Widersprüchen, in
jede Wendung der europäischen Entwicklung warf sich das deutsche Volk
mit solcher Intensität, daß die großen Deutschen mehv Repräsentanten ihrer
Epoche als ihres Volkes wurden. Darum sing auch jeder bedeutende Deutsche
immer wieder von vorn an, ohne die Mitwirkung der Nation, auf eigene
Fauß, der Vollendung meist hoffnungslos fern. Darum waren auch alle
großen Dentschen Fragmentaristen, und bis in die geistigsten deutschen Lei-
ßungen hinein ist zu spüren, daß sie einer unpoljtischen Nation entsprungen
sind. Einer Nation, die ihre Kräfte nicht zusammengefaßt, sondern maßlos
vergeudet hat. Rkur in wenigen verkörpert sich etwas wie eine universale
Deutschheit, eine schöpferische Zusammenfassung aller deutschen Tendenzen zu
einer Einheit. Will man das Lebenswerk Steins nmschreiben, so bleibt als
Beruf und Sendung immer wieder etwas, was sich mit keiner Fachbezeich-
nung decken läßt, weder mit der des Verwaltungsmannes, noch des „Re-
formers", noch des Staatsmannes schlechthin. 2lm ehesten kommt der Nume
emes nationalen GeseHgebers ihm nahe. Eines Mannes, dessen ganze schöpfe-
rische Kraft sich darin auswirkte, die Rkation in der für die damalige Zeit-
lage und über sie hinaus höchstmöglichen Form zu gestalten, widerspruchs-
voll und fragmentarisch, aber echt und groß; die Kräste des Volkes gegen
fremde innere Einflüsse und äußere Bedrückung zn verteidigen und soweit
wie irgend möglich zur politischen Rkation zu verfassen. Der Stoff, an dem
sich Steins Genie entfaltet, ist das deutsche Volk in einer geschichtlichen Ent-
scheidung. Die Form, in der er sich auswirkt, ist noch nicht der Staat (denn
auch Preußen ist ihm nur Mittel, nicht Selbßzweck, und zum Staatsmann
schlechthin fehlt ihm der unbedingte Trieb zur Macht), sondern: Deutschland.
Das hieß nicht das deutsche Volk wie es war, was er oft eine Nution von
metaphysischen Träumern, also unpolitischen Spießbürgern schalt, sondern
die aus ihren innersten Kräften znm Ziele eines deutschen Staates empor-
wachsende, die werdende politische Nation.

Man hat sich, durch die geschichtliche Bildung des durch und durch prak-
tischen Manues und seinen bedeutenden schriftlichen Nachlaß verleitet, sehr
viel den Kopf zerbrochen über die geißesgeschichtliche Stellung Steins,
über das Maß französischer oder englischer Einflüsse, über die Frage, ob die

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