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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 9 (Juniheft 1931)
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Alverdes, Paul: Katreiner hat ein Gesicht
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Michel, Wilhelm: Neue Bewußtseinsbildung in der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0647

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Häuter; er habe den Donner bestanden; er habe ein Weib genommen; er
habe ein Kind gezeugt; bleibe noch, es aufzufüLLern. Das könne er auch ohne
ReiLen und Fliegen. Übrigens kriege er jeHL geLrost graue Haare.

Sie bedauerLe ihn sehr und rief: „AlLer Mann, Mummelgreis, ach du lieber
Himmel! aber wirklich hast du dich veränderL, KaLreiner!" „So?" sagte er,
an der Pfeife saugend, die er endlich in Brand geseHL hatte, „dann werde ich
so bleiben"; und kniff die Augen ein und lachte.

In seinem Hause wurde auch später zuweilen über GoLL und SaLan geschwaHL
und gestritLen, und vom Weine heiter malten ihm die Freunde gerne aus,
wie das Reich des ewigen Friedens immer klarer heraufsteige und wie man
jeHL wisse, daß die WelL ein elektrischer Körper sei; zwar noch mit einigen
Nncken, die man ihr aber anstreiben werde, da man ohnedies in Bälde von
Stern zu Stern zu fliegen gedenke; venn immer schöner werde VernunfL zur
Herrin des WelLalls. Hier pflegte KaLreiner zu grinsen und verächtlich in
seiner Pfeife herumzustochern.

BefragL, was er denn wisse oder meine, sagte er dann: er wisse überhavpt
nichts; oder wenn er etwas wisse, so sei es nicht mehr, als was jeder Esel
anch wissen könne.

Mehr war aus ihm nicht heranszubringen.

(Aus: „Reinhold oder Oie Verwandelten", Verlag Georg Müller, München)

Neue BewußLseinsbildung in der Malerei

Von Wilhelm Michel

(^n Paris arbeitet eine Künstlergruppe, auf die man in DeuLschland seit
^)langem aufmerksam ist. Ihre LeuLe gehören zum größten Teil der
„Pariser Schule" an. Die dämonische Unrast Picassos, die beruhigte De-
koration Braques, der schwermütige Lyrismus Souverbies, die grelle, hinter-
gründige Realistik Chiricos, der romantisch-kritische Psychologismus Iean
LuryaLs finden sich hier zusammen — sehr verschiedene TemperamenLe und
Kunstweisen, die aber alle durch eine geistige GrnndhalLung miteinander ver-
bunden sind.

Schon ein flüchtiger Blick gibL zu erkennen, daß im Rahmen dieser Gruppe
WichLiges geschiehL: miLLen im Bezirk der Kunst eine Bestandanfnahme des
modernen BewußLseins; eine Darstellung moderner Seelenlagen, die mehr
als einmal an psychoanalytische Ergebnisse erinnerL, indem da Dinge aus der
Tiefenzone auftreten, aber in eigentümlich scharfe, rationale BeleuchLnng ge-
rückL — Bruchstücke von Träumen gleichsam, die den gründenden Bereichen
der Seele entstammen, die aber hier wie Trümmer eines Schiffbruchs an
den Strand des BewußLseins gespülL sind und nun grell, skeleLLierL und ganz
„Sache" geworden in der Sonne bleichen.

Die BilderwelL dieser Gruppe zeigL überall ein bestimmtes Merkmal: das
derÜberschneidung, aber nichL im perspektivisch-sinnlichen Verstand des
WorLes; sondern es handelt sich um die Überschneidung von rationalen nnd
irrationalen ElemenLen, von BergangenheiL und GegenwarL, von seelischem
Oben und IlnLen, von Glauben und Zweifel. Das BewußLsein ist plöHlich
aufgerissen, der einheitliche Raum zerlegL. Das „Borgewobene" scheideL

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