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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 7 (Aprilheft 1931)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0542

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ZZablo Picasso: Seiltänzer. DaS Bild legt den allgemeinen Gedanken
nahe: was gefällt unS an einem Bild? Dieses Gefallen isi verschiedener Art
und wird von verschiedenen Einflüssen bedingt: von Jnhalt und Form des Werkes,
von unserer persönlichen Neigung, von dem Maße unseres Geschmacks wie von der
Weite unseres künstlerischen HorizonteS, von der Zeitströmung u. a. Wer formal
sehr empfindlich ist — und auch hierin gibt es Unterschiede des Linearen und Farbi-
gen —, den vermag die Anmut und Krast der Linie, die Fülle und Schönheit der
Farben, das Schwebige von Licht und Schatten, daS räumliche Gefüge, der schwin-
gige RhythmuS des BildbaueS allein schon zu bezaubern, zu beglücken. Andere packt
und sesselt das Charakteristische der Darstellung, ihre Ausdrucksgewalt; wieder
anderen geht es mehr um das harmonisch AuSgeglichene, seelisch und augenmäßig
Beruhigte, das „Jdealische", wie sie es gerne nennen. Es gibt aber auch Bilder,
und Kunstwerke überhaupt, die trotz mancher primitiven Züge und naiven Unbe-
holsenheiten als Ganzes ungemein stark sind — ja man sragt sich, inwieweit ein
wesentlicher Teil ihrer Wirkung gerade in solch ungewollter oder beabsichtigter
Unbeholfenheit wurzelt. Dies trisst aus Picassos „Seiltänzer" zu. Das Werk ist ein
Frühwerk des Künstlers, zeigt aber in allem die sast nachtwandlerische Sicherheit
des jungen Genies. Zunächst empsindet man das Format als zu unentschieden und fast
ungesüg, die Komposition in den Richtungen und Massen nicht genügend aus-
gewogen: das aufsteigende Gelände scheint in seiner seitlichen Entfaltung zu ein-
geengt und wirkt dadurch gestaut; die Menschen sind vor die Landschast hingestellt,
statt mit ihr verbunden, und bleiben trotz der Gruppierung in sich isoliert; die ap den
rechten Rand gerückte Frau verlangt links irgendwelchen AuSgleich — da er sehlt,
hat das Ganze etwas Torsomäßiges. Und doch wirken alle diese Elemente gerade
in ihrem Sosein derart stimmungsmäßig zusammen, daß sie im ganzen wie be-
absichtigt erscheinen. Wir haben hier ein typisches Beispiel moderner Kunst, mit
dem Ungesähren der Form gerade solche Situationen und Schicksale eindrmglich
sprecheu zu lassen, die etwas Unaussprechliches, AhnungSreiches haben: ein unent-
schlossenes Haltmachen vor neuer Ferne liegt wie ein Bann über der Szene. Die
Einsamkeit dieser Menschen, jedes einzelnen und in ihrer Gesamtheit, ist der
erste und bleibende Eindruck dieser Schöpfung. EtwaS von unser aller Schick-
sal, das LebenSgefühl des heutigen Menschen, seine geheime Lebenönot hat das
Werk mit geformt. Diese Einsamkeit ist nicht etn äußerliches Alleinsein, ein
Verstoßensein, wie eS dem slüchtigen Eindruck erscheinen mag, eS ist ein inner-
liches Bereinsamtsein, weil man sich heimatloS weiß und auSgestoßen fühlt; deS-
halb verbreiten diese Menschen auch Einsamkeit um sich, ihre Umgebung wird
sast zur Wüste. Aber auch im Sinne einer Familie (der die Mutter sehlt)
zusammengeschlossen, sind sie doch nur eine Artistengruppe zusällrg nebeneinander
wirkender Existenzen. Und doch eignet ihnen etwaS GemeinsameS: ihre feingliedrigen
Körper sind nicht bloß Forderung und Ergebnis des BerufeS, sie wurzeln in einer
seinen, vornehmen Rasse, was auch aus aller Gehaben spricht. Die leise Traurigkeit
und Müde eines letzten Geschlechtes liegt über ihnen. All das wird durch die
Farbe verdeutlicht und vertieft. Unsere Wiedergabe kann bei der Berkleinerung des
lebenSgroßen Bildes nur eine beiläusige Originaltreue bieten. Außerdem werden die
weichen, flockigen, gedämpften Töne in ihrer süßen Melancholie durch das Glanz-
papier beeinträchtigt, besonders in dem Rot des Harlekin. Trotzdem wird der Ge-
samteindruck vermittelt, und wir sind stolz daraus, daß wir das Bild, daS jüngst
nach Amerika gewandert ist, unS wenigstenS in dieser Form erhalten konnten. Man
beachte Einzelheiten in ihrer rein sinnlichen wie stimmungSmäßigen Feinheit, z. B.
die Abwandlung des Blau und Rot, daS dazwischen gestreute Schwarz, den sansten

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