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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 9 (Juniheft 1931)
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Zerzer, Julius: Aus der Werkstätte Adalberts Stifters
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Carossa, Hans: Geschichten aus meiner Kindheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0667

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den, und das Wasser war gar nicht mehr sichtbar: eine lichklose Tasel war
an der Stelle, wo es fließen sollte — nur ein von Zeit zu ZeiL aufzuckender
Funke zeigLe, daß es da war und sich bewege."

Die zweiLe Fassung isl objekLiver, wohl auck> in der BeobachLung feiner, denn
sie erfaßL jenes Rieseln des Wassers in feiner Erscheinung, von dem die ersie
Fassung nur sgrichL. Und doch, wer die ersLe Fassung kennL, vermißL nun das
eingrägsamste WorL, das StichworL der ganzen SLelle: was frrcher ein SLern
war — wozu ihn freilich erst der Beschauende machte — ist nun zum Funken,
zum bloßen Bild der NdtzhauL geworden. Der SLern war ein Bild der Seele.
Gewiß ist die zweite Fassung an vielen Stellen klarer, gerundeter. Aber ihre
Vorzüge sind ja bekannt genug, sür sie war keine Lanze zu brecheu. Zweck
dieser Zeilen ist es vielmehr, auf die erste GestalL aufmerksam zu machen, zu
zeigen, daß ihr manches WerLvolle eigneL, das späLer verloren ging, daß sie
aber auch dorL die BerLiefung lohnt, wo sie von der zweiten Fassung endgülLig
überholt wurde. cklnd dorL erst rechL. Denn solche Ilmgestaltungen eröffnen
einen Einblick in die WerkstaLL des DichLers und lassen uns die Richtung seines
künstlerischen Strebens besser verstehen. Deshalb sei hier die Hoffnung auf die
völlige Beröffentlichung der „Studien" in ihrer ursgrünglichen GestalL aus-
gesgrochen. Bisher sind noch „Der Hochwald" und „Die Rlarrenburg" aus-
ständig. Wach ihrem Erscheinen wird die llrfassung der „Studien" allen
denen leicht zugänglich sein, die StifLer lieben und seinem Werk in jener
Gestalt begegnen möchten, die ihm der DichLer im ersten schögferischen
Drange verliehen haL.

GeschichLen aus memer KLndheit

Bon Hans Carossa
Gang durchs Rlebelmoor

eiL wann bin ich? — Die Stunde, da die Welt uns übernimmL, und

^—^die andere, da sie uns wieder weiLergibL, sie werden aufgeschrieben und
nach einer Weile vergessen. Das Herz aber erinnerL sich nichL, wann es zu
schlagen begonnen; es fühlL sich anfang- und endelos, und in den geistigsten,
jugendlichsten Sekunden des Daseins, wenn uns die Lebenswoge so hoch er-
hebL, daß wir weiter schauen als sonst, ist aller ZeiLenLrug aufgehoben; einzig
die ewige Seele lebL. So wissen wir uns ursgrünglich auch eins miL allem
rings Gegebenen. Das Kind, das aus der Säuglingsdämmerung hervor-
wächst, weiß nicht, daß der allgemeinsame WelLstoff, dem es entnommen ist,
sich längst gefährlich von ihm fortgewandelt hat: es lächelL jedem Wesen zu,
es kennL weder Mitleid noch FurchL, es langL nach den strahlenden Augen von
Menschen und Tieren, es würde den Tiger streicheln, die Flamme umarmen.
Immer in der WelLmiLLe fühlL sich das Kind, und unter den Erwachsenen
bestehL eine stille Bereinbarung, ihm darin recht zu geben. Die starrsten
Menschen beugen sich vor ihm; ja, wenn ihnen voreinander graut, flüchten sie
zum Kinde. Alle scheinen etwas von ihm zu erwarten; jeder LrauL ihm
heimlich zu, daß es eine neue Offenbarung des Menschlichen bedeuten und nicht
etwa auch nur ein Bürger oder ein ArbeiLer werden wird oder ein durchschniLk-

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