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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 3 (Dezemberheft 1930)
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Zu Alfred Kubnis Bildern
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Alverdes, P.: Neue Kriegsliteratur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0228

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und Wirkli'ches, Groteskes und Humoriges, Jdyllisches und Grausiges, ergreifende
Totentanzbilder und mancherlei Anderes. Wer Zeichnungen KubinS in sehr guter
Wiedergabe erwerben will, dem empfehlen wir eindringlich diese preiswerte Ver-
öffentlichung. I- Pp.

I^euere KriegsliLeraLur. V.

i.

„Wir waren einer Meinung, daß wir nicht eher
gesund werden würden, bis wir alleö zu Papier
gebracht hätten." Robert Graves „Strich drunter!"

II ls ich noch auf dem Gymnasium war, bildeten die Kriegsbucher von 1670 einen
nicht geringen Bestandteil der Schülerbibliotheken. Wir mochten sie nicht; die
Erstürmung der Spichever Höhen, die Garde vor St. Privat, die Bayern in Bazeilles,
das waren zwar Begrisfe, die uns in einem kindischen Stolz den Hals enge machten,
wenn wir im Sonntagsanzug in der Aula versammelt waren, um KaiserS Geburts-
tag zu feiern. Aber das große Schlachtenpotpourri der Militärkapelle, die des
Sonntags im Zoologischen Garten spielte, oder gar daS der Matrosen, die einen
regelrechten Schiffsuntergang in der Seeschlacht melodramatisch vorsührten, übte
die gleiche, wenn nicht eine noch stärkere Wirkung auf unS aus. Jm übrigen lang-
weilte es uns fast immer, wenn wir vom Vorgehen mit schlagenden Tambouren,
vom Niederreiten oder Niederkartätschen lesen sollten, obwohl wir doch bei riner
ausführlichen Skalpiernng oder einer an anatomischen Emzelheiten reichen Marter-
pfahlszene mit dem innigsten Behagen verweilen konnten. Das war uns vorstellbar,
während auch die von Mitkämpfern geschriebenen Schilderungen und Geschichten auS
jenem Kriege merkwürdigerweise sast niemals imstande waren, unS zu einer dichten in-
neren Wahrnehmung der geschilderteu Begebenheiten aufzuregen. ^fch glaube heute,
daß die Schuld bei den Autoren lag, die sich weder für einen chronistischen Realiömus,
noch für die unabhängige Wahrheit der Dichtung zu entscheiden vermochten, sondern
in einem verwaschenen und verschlissenen Stil, mit dem schon längst kein Stück Leben
mehr bei seinem richtigen Namen zu nennen war, beides zu vereinigen suchten.
Nicht anders verfuhren die Jllustratoren: sie schienen sich realistisch zu geben, aber
es ist mir heute, wenn ich ihre Leistungen betrachte, als habe keiner von ihnen jemals
einen bewasfneten Mann springen und fallen, geschweige denn einen Toten auf der
Erde liegen sehen.

Die Kriegöbücher von heute sind anders. Mit wenigen Ausnahmen ist aus ihnen
immerhin zu erfahreu, wie etwas wirklich gewesen ist. DaS ist ein außerordentlicheS
Verdienst, an welchem die Verfasser von Niederschriften aus allen Nationen gleichen
Anteil haben. Wenn heute eine Jugend sich wieder für die Waffen entfcheidet, so kann sie
es nur trotz dieser Bücher, und nicht dank ihrer tun. Sie weiß dann, waS sie auf sich
nimmt, oder müßte es wissen. Als die Generation der Freiwilligen von igi^ aus den
Schulklassen und Hörsälen, aus den Kontoren und Betrieben zu den Wasfen lief, was
wußte sie oder was konnte sie wissen? Sie nahm den Tod auf sich, das ist die Wahrheit.
Aber was ist der Tod für den, der noch nicht gelebt hat? Es ist eine alte Geschichte, daß
Jünglinge leichter sterben als Männer — und war nicht ohnedies die Welt zu Ende und
nichts mehr zu gewinnen, als unsterblicher Ruhm? Aber nun müssen die Llberlebenden
von ihnen feststellen, daß die Weltgeschichte weitergeht, als sei überhaupt nichts gewesen;
und zugleich begreifen sie, daß sie nicht weiterleben könnten, wenn wirklich nichts ge-
wesen sein sollte. Und darum haben sie mit einem Male in allen Ländern angefangen
zu schreiben, daß doch etwas war und wie es war. Es werden immer mehr, und noch
ist kein Ende. Und wenn wir die ersten Kapitel der ungeheuren Chronik, die da ge-
schrieben wird, für lesenSwerter gehalten haben als einen sehr großen Teil der übrigen

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