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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 6 (Märzheft 1931)
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Martin, Kurt: Oskar Kokoschka: anläßlich der Ausstellung des gesammelten Werkes in der Mannheimer Kunsthalle
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Hardy, Thomas: Das Grab an der Straße
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0431

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Schimmern, Form und Farbe sind bewegk und wunderbar belebk m dreser
EmheiL. 2lus der Dämmerung wurde selbstverständlicher Tag, aus dem
Gesicht, aus der Gebärde wurde ein ofsenes Bild, augenblicklich und voll:
die schicksallose Erscheinung der Stadt Lyon. Diese Erscheinung ist groß
gesehen und dichterisch gesormt. Die Mvwen, die mit schlanken Flügeln hoch
über der Stadt leben, sind nicht zufällig und unerwartet, sie sind sichtbare
Dichtung. In ihrem Flug ist etwas gegenwärtig vom Albatros, wie ihn
Baudelaire gekannt hat.

Kokoschka ist mit diesen Bildern zeitloser Kunst verbunden. Das deutsche
Schicksal der Bereinzelung auf deutsche Individualität ist wieder einmal
durchbrochen worden.

Das Grab an der Straße

Von Thomas Hardy

(Berechkigte Übertragung auö dem Englischen von Walter Freund)

/^>o oft ich durch Chalk-Newton komme, versäume ich niemals, einen 2lb-
^—^stecher zu einem Punkt zu machen, von dem aus sich das rr'ngs erhebende
Hochland gut übersehen läßt. Es ist dies nämlich jene Stelle, an der ein Fahr-
weg die einsame, gerade Landstraße kreuzt, die die Grenze zwischen Chalk-
Newton und dem nächsten Kirchspiel darstellt. Eine Stelle, die unfehlbar die
Ereignisse ms Gedächtnis ruft, die sich hier einmal vor hundert Iahren ab-
gespielt haben; und wenn es auch heute, nach so langer Zeit, vielen über-
flüssig erscheinen mag, neuerdings Geschehnisse aus der Geschichte unserer
Dörfer aufzuzeichnen, so verdient doch das Flüstern jenes Ortes gehört
zn werden.

Es war in einer dunklen, jedoch ungewöhnlich milden und trockenen Christ-
nacht (so lauten die Berichte William Dewys aus Mellstock, Michael Mails
und anderer), als die Musikanten von Chalk-Newton — einem großen
Kirchsyiel, das auf halbem Wege zwischen den beiden Städten Ivel und
Chasterbridge gelegen und heute eine Eisenbahnstation ist — knayp vor Mitter-
nacht sich versammelten, um ihre üblichen Weisen vor den Fenstern der länd-
lichen Bevölkerung ertönen zu lassen. Diese Bereinigung von Musikanten
und Sängern gehörte mit zn den größten ihrer Llrt in der Grafschaft; und
ganz im Gegensatz zu der kleineren nnd vornehmeren Kayelle von Mellstock,
die sich nur aus Streichinstrumenten zusammensetzte, wies sie auch Blech-
und Holzbläser auf und syielte eine wichtige Rolle bei den feierlichen Gottes-
diensten, wo sie dann ihren Platz gewöhnlich auf der Westseite der Gale-
rie hatte.

In dieser Nacht bestand die Kayelle aus zwei oder drei Violinen, zwei Cellos,
Bratsche, Kontrabaß, Klarinetten, Serpent nnd sieben Sängern. Es war
jedoch den Leuten an den folgenden Borgängen kein Verdienst zuzuschreiben,
sondern einzig und allein ein Zufall bewirkte es, daß sie in den Ereignissen, die
jetzt geschildert werden sollen, eine Rolle spielen durften.

In den Iahren vorher hatten sie auf ihren Rundgängen niemals etwas Un-
gewöhnliches gesehen oder erlebt, aber gerade in dieser Nacht — so erzählten
wenigstens einige von ihnen — herrschke unter den zwei oder drei älteren Mit-
 
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