Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1931)
DOI Artikel:
Grätzer, Franz: Blick auf das Theater, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0805

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Blick auf das Theater

Von Franz Graetzer
Krisengeschrei, Krisengemunkel

W^ie Herren FeuilleLonisten brauchen zu den Vertrauenskrisen der Rechts-
^^pslege nnd der Heilkunst des Parlamentarismus und der Koalitionen-
politih des Protektionismus und der Völkerverständigung ein halbwegs
krästiges Gegenstück. cklnd ersinden eine Theaterkrise, die tatsächlich über-
wunden war, sobald einmal das deutsche Theater seine Lebenssähigkeit
gegenüber der verstärkten Bedrohung durch Film und Funk, Sportbetrieb und
Hochflut politischer Versammlungen hatte erweisen können. Die Bestandskrise
des Theaters gab es vor süns Iahren. Wo heute noch, wo gerade crst heute
Theaterkrise besteht, ist sie von anderer 2lrt: Krise nicht mehr des Wesens und
Begrisss, sondern der Funktionen; Krise, die nicht mehr unmittelbar die Volks-
gemeinschast, sondern sast bereits die Interessentenhausen zunächst angeht. La-
stensenkung und Preisabbau, Erneuerung in den Formen der Besuchswerbung
und Besuchsorganisation, Umstellung der Betriebsgestaltung und der Führung
werden erörtert, und die Genossenschast Deutscher Bühnenangehörigen (mit
dem ewigen Sprachfehler im Namenschild) entrüstet sich über „Qmacksalberei",
ohne selbst von gültigerer Heilkunst überzeugen zu können. Die Debatte wird
aus ein totes Gleis abgeschoben, wenn, wieder einmal, dem „Fachmann" der
Literat entgegengestellt wird, der mehr als einmal dem deutschen Theater die
entscheidenden Antriebe gegeben hat; aber der Literat, der über „getarnte Re-
aktion" schilt, wo es zuvörderst um Überspannungen des Fiskalismus geht,
wetteisert an Lebenssremdheit hier sast mit dem Fachmann, der unentwegt am
Symptom hasten bleibt.

Das unsterbliche Theater kann nicht gut leben. Aber es hat, zum Glück, nicht
die Auszehrung, sondern nur eine Blutvergiftung. Es braucht Luftwechsel, ver-
änderte Kost, Llusscheidung von Fremdstossen. Ünd, allerdings, Räumung der
Krankenstube von Klageweibern.

Abbau der K ri e g s g ew i n n e

Das deutsche Theater war einer der namhastesten Kriegsgewinnler. Mangel
an Brot Lrieb die Massen in die Spiele, Mangel an Tanzgelegenheit lockte
zu den Füßen der Tänzer, Kohlennot der Häuslichkeiten lud in die leidlich war-
men Theater. Bis in die Inslation währten die setten Iahre des Theaters.
Bis weit über die Geldstabilisierung hinaus dauerte der sröhliche Glaube, es
könne immer so bleiben. Bis der große Katzenjammer da war und der Iüchhe-
Optimismus in sein schwärzestes Gegenteil umschlug. Der reiche Rentner,
der nicht wissen will, daß sein Bermögen vertan ist, und, ohne sich in den
Kriegsverlust einzubeziehen, über die schlechten Zeiten und die Fehler der Füh-
rung greint: der Lheaterwirtschastliche Kannegießer. Fünf Millionen Erwerbs-
lose in einem mit Reparationen nnd Steuern überlasteten Bolk, beispielloses
Elend der Massen; Abbau ringsum, der Menschen und der Lebenshaltung —
und auch dem Theater blüht kein augusteisch Alter.

Keines Mediceers Güte? 2lber gerade dem Theater hat der neue Staat un-
vergleichliche Gäben beschert: indem er die kulturelle Berpflichtung für den

705
 
Annotationen