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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1930)
DOI Artikel:
Brock, Erich: Kleine Reise nach Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0199

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Kleine ReLse nach FrankreLch

Von Erich Brock

i.

i^s LsL eine gangbare Anschauung über die Franzosen, welche sie auch selber
^miL Eifer nähren, daß sie bei weitgehender Vernachlässigung alles Äußerli-
chen und OrganisaLorischen nach innen einer indivjdualisiischen FreiheiL hnldigen,
die sie zmn eigenLlich europäischen, unLygisierLen und daher unprakLischen Volke
machL. Wer selbst nach Frankreich kommL, siehL sich einer WirklichkeiL gegen-
über, welche sich weiL weniger einfach anläßL. Es ist ja schon an sich klar, daß
ein Volk, welches durch die IahrhnnderLe und ganz besonders noch zuleHL cine
eiserne WillensgeradlinigkeiL gezeigL haL, diese FähigkeiL, alle störende Mannig-
falLigkeiL bis ins Geistigste HLnein der erLüchLigenden Klarheit der AlLernaLiven
fernzuhalten — daß ein solches Volk nichL von jener genialen Schlamperei, Län-
zerischen GeistverlorenheiL sein kann, unter welcher es aufgefaßL zu werden
wünschL. In der Tat zeigL sich heute dem Reisenden in Frankreich soforL, bei
vielfach beharrender Vernachlässigung und Verwahrlosung, doch eine manm'g-
faltige äußere AkLiviLäL, die zu der herkömmlichen Vorstellung keineswegs paßL.
Über derMühsal des deutschen Aufbaus, welche in ihrem äußern Erfolg gegen-
über den sich immer neu Lürmenden und getürmten Hemmnissen allzu LanLalus-
hafL blieb, haben wir vielleichL nicht genug beachteL, was anderwärts geleistet
worden Lst. Betreffs Frankreichs wurde das noch dadnrch erschwerL, daß hier
sorgsam miL der „kHsnes rlisnrtris st ^aiguss" hausierL wurde noch zu einer
ZeiL, als man dieses Frankreich (wenigstens soweiL es eine aktuelle NoL be-
denten konnte) auch miL der LaLerne vergeblich gesuchL hätte. Wenn heute
dessen leHLe Spuren längst verschwunden sind, so fehlte dazu niemals
das, was bei uns zu allem mangelL: das Geld. älllein auch vor dem Kriege
war dieses in Frankreich ja in Fülle vorhanden. In WirklichkeiL ist eben ein
neuer äußerer TäLigkeiLsdrang in Frankrerch erwachL, der sich überall bemerkbar
machL. Die BlüLe der Industrie und des WirLschafLslebens überhaupL wäre
ohne diese AkLiviLäL beim Einzelnen nichL denkbar. Dem Reisenden fällL zu-
nächst auf, miL welcher InLensiLäL an den Eisenbahnstrecken gearbeiteL wird,
wie die Bahnhöfe gesänberL und erneuerL werden, wie, während vor einigen
Iahren noch alles bessere RollmaLerial aus der BeuLe von 1918 stammte,
heute mindestens in den Schnellzügen zweckmäßige und bequeme Neubauten
vorhanden sind. In Paris stellL er dann die praktische und wirksame Ver-
kehrsregeluug fest, das ausgezeichnete NeH der Schnellbahnen, die geschwinde
Amerikanisierung vieler Zweige des äußeren Lebens, welche mindestens Sauber-
keiL, Hygiene und vernünftige RaLionalisierung bedeuteL. Uud auch die KehrseiLe
dieser EnLwicklung verbirgL sich nicht. Bon der anmutigen HöflichkeiL, die dem
Romanen eigen sein kann, ist (obwohl die jhr zugrunde liegende „AufgedrehL-
heiL" im wesentlichen Selbstgenuß ist, ohne darum in ihrer SpiHenform weniger
sozial zu sein) im öffentlichen Leben nichL mehr allzu viel übriggeblieben. Gegen-
über England fällL die vorwiegende GrobheiL der Menschen auf, die Rau-
heiL der Umgangsformen, die UnwilligkeiL zu AuskünfLen — ganz besonders,
wie widerstandslos man für jeden erledigL ist nach EnLLäuschung eines berufs-
mäßigen Anspruches auf Profit oder nach Abwicklung dieses Teiles der Be-

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