Briefe Iacob -Burckhardts an seinen Schüler
AlberL Brenner
Zürich, 17. OkLober 1855.
S^hr Brief hat mich in der Seele erfreuL. — So flüchLig Ihr glückliches
^)AlLer in manchen Dingen sein mag, so glaube ich doch, daß Sie die ein-
mal erkannLe Beßimmung fefthalLen werden: irgend einen Zweig der höchften
BildungsinLeressen miL vorzüglicher Beziehung auf das Schöne. Sie wer-
den noch Iahre lang haften nnd zagpeln, so wie ein anderer keuchL uud ächzL,
aber im ganzen, hosfe ich, sind Sie geborgeu. Was noch unreif ift, wird aus-
gären. Bleiben Sie aber kein bloßer Contemplator, sondern halten Sie der
schaffenden Poesie das WorL, das Sie ihr im stillen gegeben haben. Mvge
sie all Ihrem geiftigen Streben eine hellodernde Fackel voranLragen.
Wie viele Dinge sind es denn am Ende, die dem Leben eines modernen Men-
fchen einen höheren WerL verleihen können? Wie ift uns in Lausend Be-
ziehungen das äußere Handeln abgefchniLLen, das in andern ZeiLen und unLer
andern Menfchen die Merven ftärkL und die Organe frifch hälL? Wie übel
ift uns unter den großen Mafchinenrädern der jeHigen WelL zu MuLe, wenn
wir nichL unserm persönlichften Dasein eine eigentümliche, edlere Weihe
geben? — Doch diese Dinge sind Ihnen wohl so klar als mir. Gegen jenen
Geift des Hohns und des Widerspruches, der bisweilen mit Ihnen sein
Wesen LreibL, gibt es vollends gar keine bessere Hilfe als die beständige, an
keinen vergänglichen Herbft gebundene dionysifche Traubenkur im Wein-
berge — ich will nicht weiter fortfahren. Die beftändige Anfchauung des
Schönen und Großen soll unseren ganzen Geift liebevoll und glücklich machen.
Anch unser Ehrgeiz soll sich dadurch vom Stadium der EiLelkeiL zur Rnhm-
begier erheben. Ob wir noch über jemand siegen, soll für uns keine Lebeus-
frage mehr sein, wohl aber, ob wir zu Ehren des Schöuen über unsere
eigenen Grillen gesiegL haöen.
Was ich Ihnen gegeben haben mag, das kann Ihnen nun, da Sie vorbe-
reitet sind, ein anderer besser und in einem höhern Siune geben, und auch
in Ihren PrivaLftudien müssen Sie sich nun den Weg durch das DickichL
brechen, da Sie — wahrhaftig geringftenteils durch mich — gehen gelernL
haben und im ganzen die RichLung wissen.
Unsern goetifchen Berkehr vermisse ich gerade so sehr wie Sie. Mit all den
ausgezeichneLen Leuten, deren Umgang sich hier für mich eröffneL, ift mir in
diesem einen Punkt nicht geholfen — weil ihnen in der Regel durch Schicksale
und Überanftrengungen die eigentliche Freude an diesen Dingen genommen
ift und weil sie selber nicht produzieren (meines Wissens). Die poetifchen
Anregungen, die hier in der Luft liegsn, sind groß und bedentend; einftweilen
aber habe ich noch zu wenig Boden unter den Füßen, um ruhig an die eigene
ProdukLion denken zu können. cklnd dann ift ein wissenfchaftlicher Quälgeift
über mir, der vielleicht auf Iahre hinaus alle meine disponiblen Kräfte in
Anspruch nehmen wird, der Keim einer größeren Forfchung in der GefchichLe
des Schönen. Ich habe diesen ,Brefierck voriges Iahr aus Italien mitge-
brachL und glanbe nun, ich könnte nicht ruhig fterben, wenn ich nicht in dieser
Sache mein Schicksal erfüllL habe.
716
AlberL Brenner
Zürich, 17. OkLober 1855.
S^hr Brief hat mich in der Seele erfreuL. — So flüchLig Ihr glückliches
^)AlLer in manchen Dingen sein mag, so glaube ich doch, daß Sie die ein-
mal erkannLe Beßimmung fefthalLen werden: irgend einen Zweig der höchften
BildungsinLeressen miL vorzüglicher Beziehung auf das Schöne. Sie wer-
den noch Iahre lang haften nnd zagpeln, so wie ein anderer keuchL uud ächzL,
aber im ganzen, hosfe ich, sind Sie geborgeu. Was noch unreif ift, wird aus-
gären. Bleiben Sie aber kein bloßer Contemplator, sondern halten Sie der
schaffenden Poesie das WorL, das Sie ihr im stillen gegeben haben. Mvge
sie all Ihrem geiftigen Streben eine hellodernde Fackel voranLragen.
Wie viele Dinge sind es denn am Ende, die dem Leben eines modernen Men-
fchen einen höheren WerL verleihen können? Wie ift uns in Lausend Be-
ziehungen das äußere Handeln abgefchniLLen, das in andern ZeiLen und unLer
andern Menfchen die Merven ftärkL und die Organe frifch hälL? Wie übel
ift uns unter den großen Mafchinenrädern der jeHigen WelL zu MuLe, wenn
wir nichL unserm persönlichften Dasein eine eigentümliche, edlere Weihe
geben? — Doch diese Dinge sind Ihnen wohl so klar als mir. Gegen jenen
Geift des Hohns und des Widerspruches, der bisweilen mit Ihnen sein
Wesen LreibL, gibt es vollends gar keine bessere Hilfe als die beständige, an
keinen vergänglichen Herbft gebundene dionysifche Traubenkur im Wein-
berge — ich will nicht weiter fortfahren. Die beftändige Anfchauung des
Schönen und Großen soll unseren ganzen Geift liebevoll und glücklich machen.
Anch unser Ehrgeiz soll sich dadurch vom Stadium der EiLelkeiL zur Rnhm-
begier erheben. Ob wir noch über jemand siegen, soll für uns keine Lebeus-
frage mehr sein, wohl aber, ob wir zu Ehren des Schöuen über unsere
eigenen Grillen gesiegL haöen.
Was ich Ihnen gegeben haben mag, das kann Ihnen nun, da Sie vorbe-
reitet sind, ein anderer besser und in einem höhern Siune geben, und auch
in Ihren PrivaLftudien müssen Sie sich nun den Weg durch das DickichL
brechen, da Sie — wahrhaftig geringftenteils durch mich — gehen gelernL
haben und im ganzen die RichLung wissen.
Unsern goetifchen Berkehr vermisse ich gerade so sehr wie Sie. Mit all den
ausgezeichneLen Leuten, deren Umgang sich hier für mich eröffneL, ift mir in
diesem einen Punkt nicht geholfen — weil ihnen in der Regel durch Schicksale
und Überanftrengungen die eigentliche Freude an diesen Dingen genommen
ift und weil sie selber nicht produzieren (meines Wissens). Die poetifchen
Anregungen, die hier in der Luft liegsn, sind groß und bedentend; einftweilen
aber habe ich noch zu wenig Boden unter den Füßen, um ruhig an die eigene
ProdukLion denken zu können. cklnd dann ift ein wissenfchaftlicher Quälgeift
über mir, der vielleicht auf Iahre hinaus alle meine disponiblen Kräfte in
Anspruch nehmen wird, der Keim einer größeren Forfchung in der GefchichLe
des Schönen. Ich habe diesen ,Brefierck voriges Iahr aus Italien mitge-
brachL und glanbe nun, ich könnte nicht ruhig fterben, wenn ich nicht in dieser
Sache mein Schicksal erfüllL habe.
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