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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1931)
DOI Artikel:
Jostock, Paul: Entproletarisierung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0884

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EnL^roleLarisrerung

Von Paul Iostock

immer der moderne KapiLalismus seinen Fuß hinsetzen mochke: er
"^-^-^brachLe ungeahnLe ReichLümer ins Land, riß aber zugleich eine neue
KlufL ins Volk. Gerade die Menschen, die der JndusLriebeLrieb zwangsläufig
zu einer wohlgeordneLen KooperaLion äußerlich vereinLe, waren innerlich viel-
fach durch das Gefühl der GegnerschafL geLrennL. Kamen besondere soziale
VorbelasLungen noch hinzu, wie es in MitLeleuroga ans historischen Gründen
der Fall war, so legLe sich Haß und FeindschafL zwischen die neugebildeLen
KlassenfronLen.

Die Llrsache dieses ZwiespalLs war mehr maLerieller als seelischer NaLur.
Sie bestand darin, daß der KooperaLion auf der ProdukLionsseiLe nicht die
rechLe KooperaLion auf der VerLeilungs- und VerbranchsseiLe zngeordneL war.
Von dem schwellenden ReichLnm siel der besiHenden Schicht ein übergroßer
Teil zn. Die ArbeiLerklasse hingegen fand sich unzureichend und ungerechL
bedacht. RkichL daß sie davon ausgeschlossen blieb. Ihre LebenshalLung stieg
mit der Mehrung des Volkswohlstands. Aber ihr Los blieb dasselbe: als
besiHlose LohnarbeiLer zu leben, ohne Sicherung der Existenz, ja auch nur der
ArbeiLsgelegenheiL, nnd ohne Gemeinschaft miL dem ArbeiLgeber, mit dem sie
nur noch die nackLe Barzahlung des Lohns verband. In der dauernden und
sich vererbenden BesihlosigkeiL, der llnsicherheiL und der Loslösung des Eiu-
zelnen ans der solidarischen WirLschafLsgemeinschafL liegL das proleLarische
Lebensschicksal beschlossen.

Diese Erscheinung haL schon früh die Llufmerksamkeit auf sich gelenkL, weil sie
als Gefahr für Staat und WirLschaft erkannt wurde. Dem StaaL drohLe
die Umstnrzbewegung, der WirLschafL die unnaLürliche Schwächung des
InlandsmarkLs nnd damiL ein Ausbau in falscher RichLung. Es sind eLwa
hunderL Iahre, daß Europa zum erstenmal durch zahlreiche und zum Teil bis
heuLe lesenswerLe SchrifLen über dieses Thema aufgeklärL wurde. SeiLdem
haL sich der Strom dieser Diskussion nnunLerbrochen über die geplagLen Völ-
ker ergossen und ist kurz nach dem WelLkrieg wie auch in der gegenwärLigen
WirLschafLskrise wieder zu einer unberechenbaren Überschwemmung gediehen.
Über die Ursachen und demzufolge über die MiLLel zur Llbhilfe hegLe man
zunächst die größLen MeinungsverschiedenheiLen. IahrzehnLelang, bis zur Re-
voluLion von 1648, sah die konservaLive SeiLe, von wenigen, ausgezeichneLen
Kögfen abgesehen, die einzige Ursache für alle MißsLände in dem ZersLö-
rungswerk von 1789, insbesondere in der Llufhebung der aüen sozialen Bin-
dungen und der enLsprechenden SLaaLsverfassung. Gänzlich enLgegengeseHL lag
die Meinnng der SozialisLen, denen in Frankreich um i8zo bereiLs mehrere
namhasLe Schulbildungen gelangen. Zwischen beiden erLremen RichLungen
fand sich die Berheißung der liberalen Ökonomie, daß nunmehr jedem der Weg
zu Reichtum und FreiheiL offen stehe, nnd jeder, der es ernstlich wolle, znr
WohchabenheiL gelangen werde — dank den unbegrenzten MöglichkeiLen der
freien WirLfchafL. Die letztere Auffassung kann man wohl als die bürger-
liche bezeichnen, denn sie enLsprach der geheimen Hoffnnng, die das Bürgertum
sowohl als auch die nach BürgerlichkeiL strebende ArbeiLerschaft — und das

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