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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 9 (Juniheft 1931)
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Hofmiller, Josef: Ottobeuren
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Zerzer, Julius: Aus der Werkstätte Adalberts Stifters
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0661

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hausen, wo der junge Dominikus Zimmermann zum ersten Male schüchtern
zum Baugedanken der Wieskirche ausholt, Schussenried, Weingarten, Wolf-
egg —, zum Schluß wollten wir die Probe auf Ottobeuren machen: als
Raum hielt sich daneben nicht einmal Steinhansen! Die Chorgestühle —
dabei muß man diese württembergischen Chorgestühle kennen — wie weg-
geblasen neben denen von Ottobeuren! Das herrliche dunkle Braun der schwe-
ren Eiche, die vergoldeten Lindenholz-Neliefs der Füllungen, der unerschöpf-
liche Esprit, mit dem die eingelegten Schmuckfelder die Kunstform des Vier-
bogenrahmens abwandeln, das mattleuchtende Gold der Karyatiden, Putten,
Hermen, des flammenleicht aufzüngelnden Gitterwerks, die geistreiche Verbin-
dung von Orgelgehäuse mit Chorgestühl, die köstlichen Durchblicke auf die
Deckengemälde oben in den Orgel-Lettnern zu beiden Seiten, vor allem aber
diese achtzehn Reliefs selber, ein ins Rokoko überseHter Ghiberti: hier streckt
jede Beschreibung die Waffen, es ist das leHte Wort eines Handwerks, das
höchste Kunst geworden ist, es ist rätselhaft, was cin Schreinermeißer aus
Billingen und ein Holzbildhauer aus Riedlingen da vollbrachk haben, dazu
gibt es kein Seitenstück, nicht nur in deutschen Landen.

Und doch ist eine allerletzte Steigerung vorbehalten: leise schwebt ein flöten-
hafter Ton hauchzart zwischen den Gewölben, eine Figur perlt auf, eine
zweite spiegelt sie, sie reichen sich die Hände, trennen sich, neue Gefährtinnen
schwingen sich aus unerschöpflichem Grunde, die Stimmen werden zahlreicher,
der Klang voller, ein Manual antwortet dem andern wie ein Chor von Kna-
ben einem Chor von Mädchen, sie schweigen beide eine bange Pause lang,
da wird das volle Werk Lönend und dröhnend wie mit Bachschen Zinken
und hohen Drommeten, die Luft zittert, die Wände scheinen zu beben, plötz-
lich wird es wieder ganz still, über das dunkelste Register spannt sich ein
leuchtendes wie ein Regenbogen über die betränte Flur, da, in der mittleren
Lage seht die Box humana ein und das alte Werk fängt an zu singen, selig
schwebt die unirdische Stimme zwischen braunsamtener Tiefe und himm-
lischem Licht, als offenbarte das große Fresko tönend sein Geheimnis.

Warum ich nur von der Kirche gesprochen habe? Warum kein Wort vom
Kloster, seinen Höfen und Kreuzgängen, Winter- und Sommerabtei, Treppen-
häusern und Amigonis Fresken, Refektorium, Bibliothek, Kaisersaal? Weil
es dies alles auch auderswo gibt: in Sankt Florian, Melk, Kloßerneuburg,
Kremsmünßer. Den Ottobeurer Raum aber gibt es nur einmal. Das Otto-
beurer Chorgestühl gibt es nur einmal. Die Ottobeurer Orgel gibt es nur
einmal.

2lus der WerksLätte AdalberL Gtlfters

Bon Julius Zerzer

b die Dichter recht hatten, die, dem großen Beispiele Goethes folgeud,

^^qual- und mühevolle Iahre daran wandten, um die Werke, die ihnen die
Eingebung geschenkt hatte, in bewußtere Form umzugießen? Diese Frage wird
sich niemals eindeutig beantworten lassen, und gerade darin liegt ihr dauernder
Reiz. Gewiß ist, daß dieses Ilmgießen anerkanuter Leistungen nur möglich

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