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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI issue:
Heft 1 (Oktoberheft 1930)
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Alverdes, Paul: Maria Luise Weißmann
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0034

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er wrll es mit Aufgabe seiner selbsl, wenu es sein muß, mit Auflösung uud
Verwesung Leibes und der Person, — nur sich unterscheideu will er nicht.
Denn sich unLerscheiden, das hieße ohne GoLL sein und doch nichL, oder
nichL einmal I^aLur: ein nnerLräglicher, fürchLerlicher Gedanke einer nur noch
sinnlosen EinsamkeiL. Es mag darin jene „Ahnung von Verlust und Ver-
dammnis" sein, welche das geistige Wesen dieser DichLerin schon früh be-
stimmte.

Es kann nichL fehlen, daß einer solchen Seele der Lebens-Augenblick und
die Augenblicks-GestalL es kaum noch werL erscheinen, ihr das „Verweile
doch!" znzurufen. Zhre SehnsuchL ist Verwandlnng, nichL Verweilen, ist
Rückkehr, Verlöschen, Tod. „Äch, ich Lrag / Zn mir Verlöschens-Sehn-
suchL: Wachsein war / Zehrend wie KrankheiL, und es blühLe schon / Zu
weißen Wissens AussaH mir im Haar / Schlaf: spül mich dnnkel-rein! Laß
Robinson / Liegen in NachL, wie Hügel ruhn, Gebärde / Rkur Liesren SchaL-
Lens, dunkles Ding der Erde." (Robinson ist müde.)

So fehlen unLer ihren GedichLen fast ganz die sestlichen oder unmiLLelbar
feiernden und besingenden: noch das Gedenken an den GeliebLen, Kuß und
Ltmarmung selbst geschehen unLer den geisterhafLen Zeichen eines sich ewig
verwandelnden, ruhelos sich selbst suchenden Daseins, und jede Bewegung
des Herzens und zärtlicher Hauch der Lippen bewegL den GestalLenhauch ur-
alLer VergangenheiLen miL heraus. Auch die LandschasL, die sie in Versen
bespricht, die zu ihren schönsten gehören, ist ihr von GrenzenlosigkeiL um-
wiLLert, vom Tode belebL, Sinnbild nichL einer Lebens-Gegenwart, sondern
der VergänglichkeiL und ewigen Wiedcrkehr.

Es wäre ein müßiges Beginnen, diesem srüh verstummten Mund nach-
zurechnen, was er an WohllauL und SchmiegsamkeiL bei Hofmannsthal und
vor allem bei Nilke gelernL haben mag. Eine Reihe von GedichLen beweisen
miL der KühnheiL ihrer Verknüpsungen, miL der Erlesenheit ihrer Reime
und miL der formalen Lösung scheinbar unlösbarer Anfgaben, wie eLwa die
KakLeen-GedichLe, die N!amen nnd Wesen dieser Pslanzen in eine Beziehnng
zu Leiden und Leidenschaft zu setzen wissen, oder die Übersetzungen nach
Verlaines >Rmi68" — beweisen, daß die Schülerin zu lernen verstand, wie
nur die künftigen Meister zn lernen verstehen. Es gibL aber andere Dinge,
die miL keinem Fleiß nnd guten Ohr der WelL zu lernen sind, und so
sinden wir schon in den Versen der kaum Zwanzigjährigen Gebilde von
einem unnachahmlichen Zauber der sprachlichen und vor allem der ganz
frei gebildeten und doch nur so und nichL anders vorstellbaren rhythmischen
GestalL, wie etwa das GebeL der Kindheik. Wie da der jambische Vers miL
dem sreien wechselL und das halb angstvolle und halb zuLrauliche Geplapper
des betenden Kindes bis in die Atemsührung hinein bewahrL sind, ohne das
PoeLische auch nnr eine Sekunde lang dem Nachahmenden oder Realißischen
zu opfern, das allein ließe auf eine DichLerin von eigenen KräsLen und
Gnaden schließen.

Wie sehr sie es gewesen ist, machte ihr Tod vollends ossenbar. Mit immer
mächtigerem Verlangen haLLe sich ihre Seele jenem „dunklen Neich, das
keiner kennL", zugewendeL, das Fallen der Grenzen vorwegnehmend geseierL
und miL einer dunklen nnd Lranervollen Lust den Übergang aus der Einsam-
 
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