Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0047
DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1930)
DOI Artikel:Weissmann, Maria Luise: Gartennovelle
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0047
bewußt darüber klar geworden wäre. Aber sie fand es mit einem Male schön,
so zu sitzen, einen Grashalm zwischen den Zähnen, neben dem Schweigenden,
rnit dem Gesühl, daß unermeßlich viel Zeit vor jhnen liege. Übrigens schien
von dieser Unermeßlichkeit alles ringsum berührt: Der Himmel hatte sich nie
so sern und weit gespannt. Beggos Blick, zu ihm emgorgewandt, nahm seine
leere Weite in sich auf. Wer konnte sagen, wo sie endete? Sein Haar, ins
Gras ununterscheidbar gemengt, reichte, wer mochte sagen, wohin? Sie wars
den Halm, den sie im Mmnde drehte, mit einer Art von schlechtem Gewissen
weg, und als sie abends ausstand, um ins Haus zn gehen, sehte sie ihre Füße
so vorsichtig, als könne sie Beppo mit ihnen wehe tun.
2lm nächsten Morgen schlies er immer noch. Aber ein Nrues war da: Geruch
von einer Pslanze, die Beronika nicht kannte. Sie witterte in der Lust, sie sah
sich um: sie konnte kein Gewächs entdecken, dem dieser Geruch, schwach, aber
doch in der Andeutnng einer süßlichen Schärse, zu eigen hätte sein können.
(§r war mit dem Boden unvereinbar, diesem mageren, sonnverbrannten Boden.
Veronika, wenn sie die Augen schloß, konnte sich einen Berschlag des Treib-
hauses vorstellen: bleichgrünes, settsüchtiges Gewächs schoß dort empor in
einem künsilich-trüben Licht, schwammig aus einem schwammigen Grund ge-
nährt, in unsauberen Berschlingungen wuchernd, mit Blüten, die von einem
häßlich sleischfarbenen Rosa waren, besät mit Hüllen toter Znsekten, üblen
DunsL aussLrömend. Und diese Blüte, hier schien sie mit der sLeigenden Sonne
sich zu entfalten, unerträglicher GesLank.
Beronika sLand aus. Sie sah einen Käser, sie sah einen grün und rot bronzierten,
sie sah zwei grün und rot bronzierte eilige Käser an Beppos Bein empor-
sireben, in der Höhle seiner Kleidung verschwindend. Sie sah Beppos Gesicht,
leer und weit noch der Blick, aber crschüttert, ja, von Gelächter erschüttert.
„Die Käser kiheln ihn," dachte Beronika, aber dieses Lachen verging nicht,
es brach aus allen Zügen; als sei sie selbsLändig geworden, nicht Teil eines
Gesichtes mehr, lächelte jede Linie sür sich, schmolz Wange, Mund und
Ohr in einem lautlosen Gelächter.
Beronika schrie. Sie schrie. Sie rannte schreiend ins Haus.
Kenny Meadows
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so zu sitzen, einen Grashalm zwischen den Zähnen, neben dem Schweigenden,
rnit dem Gesühl, daß unermeßlich viel Zeit vor jhnen liege. Übrigens schien
von dieser Unermeßlichkeit alles ringsum berührt: Der Himmel hatte sich nie
so sern und weit gespannt. Beggos Blick, zu ihm emgorgewandt, nahm seine
leere Weite in sich auf. Wer konnte sagen, wo sie endete? Sein Haar, ins
Gras ununterscheidbar gemengt, reichte, wer mochte sagen, wohin? Sie wars
den Halm, den sie im Mmnde drehte, mit einer Art von schlechtem Gewissen
weg, und als sie abends ausstand, um ins Haus zn gehen, sehte sie ihre Füße
so vorsichtig, als könne sie Beppo mit ihnen wehe tun.
2lm nächsten Morgen schlies er immer noch. Aber ein Nrues war da: Geruch
von einer Pslanze, die Beronika nicht kannte. Sie witterte in der Lust, sie sah
sich um: sie konnte kein Gewächs entdecken, dem dieser Geruch, schwach, aber
doch in der Andeutnng einer süßlichen Schärse, zu eigen hätte sein können.
(§r war mit dem Boden unvereinbar, diesem mageren, sonnverbrannten Boden.
Veronika, wenn sie die Augen schloß, konnte sich einen Berschlag des Treib-
hauses vorstellen: bleichgrünes, settsüchtiges Gewächs schoß dort empor in
einem künsilich-trüben Licht, schwammig aus einem schwammigen Grund ge-
nährt, in unsauberen Berschlingungen wuchernd, mit Blüten, die von einem
häßlich sleischfarbenen Rosa waren, besät mit Hüllen toter Znsekten, üblen
DunsL aussLrömend. Und diese Blüte, hier schien sie mit der sLeigenden Sonne
sich zu entfalten, unerträglicher GesLank.
Beronika sLand aus. Sie sah einen Käser, sie sah einen grün und rot bronzierten,
sie sah zwei grün und rot bronzierte eilige Käser an Beppos Bein empor-
sireben, in der Höhle seiner Kleidung verschwindend. Sie sah Beppos Gesicht,
leer und weit noch der Blick, aber crschüttert, ja, von Gelächter erschüttert.
„Die Käser kiheln ihn," dachte Beronika, aber dieses Lachen verging nicht,
es brach aus allen Zügen; als sei sie selbsLändig geworden, nicht Teil eines
Gesichtes mehr, lächelte jede Linie sür sich, schmolz Wange, Mund und
Ohr in einem lautlosen Gelächter.
Beronika schrie. Sie schrie. Sie rannte schreiend ins Haus.
Kenny Meadows
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