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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1931)
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Schenker, Heinrich: Gedanken über Kultur, Kunst und Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0273

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semem VorLrag lebendig zu machen, der wird, auch wenn er diesen hohen Geisl
nur durch sinn- und zwecklose Finger- oder Dirigierübnngen zu verdolmekschen
wagL, miLnichLen für irr gehalLen, er dars srei umhergehen und seine der Kmrst
wie dem MenschheiLswohl abLrägliche BeLäLigung forLsetzen.

Wo ein älLeres Meisierwerk das eine oder das andere Mal wirklich zu Leben
gebrachL wird, ist dies dnrchans nichL eLwa ein Geschenk des Aussührenden an
den Meisier, sondern nur ein Herausholen des ihm vom Meisier von Anbeginn
geschenkLen Lebens.

SachlichkeiL isL auch in der Musik das SchlagworL vom Tage. Wie wird sie
aber gehandhabL? Nun, des Meisiers SachlichkeiL in bezug auf SchreibarL
oder VorLragsanweisnngen wirfL der Musiker einfach aus dem Meisterwerk
hinaus und setzL an ihre SLelle — seine eigene Sachlichker'L.

Das Sinken der sogenannLen neuen Musik bis hinab zu den SchlaginstrumenLen
zeigL deuLlich den IlnLergang der Mnsik als Kunst an. Bald wird anch die Musik
der Europäer bei den SchlaginstrumenLen einschlafen, wie das bei den östli-
chen Bölkern schon seiL IahrhunderLen der Fall ist. Wie ofL empfahl Lch doch,
wenn es schon sein muß, bei Bach, BeeLhoven und den anderen Musikgenies
zu wachen, meineLwegen zu schlafen, doch nein, die inzwischen zum NuLur-
menschenLum znrückgeworfenen Enropäer wollen noch lieber bei der Nutur-
musik der Neger ein- und forLschlafen.

Wie erklärL sich dann aber der Widerspruch, daß, wo unbestreiLbar die Kunst
eines Seb. Bach doch jünger und moderner ist als die uralLe Musik der N°eger,
daß der selbe Europäer, der forLschriLLsLoll sonst immer das ÄlLere zugnnsten
des Neneren verleugneL, plötzlich das I'reuere Seb. Bachs zugunsten des ÄlLe-
ren der Nrger verräL? SollLe er am Ende nichL wissen, wo hier der Fork-
schriLL wirklich liegL?

Gerade am Iazz sind die Europäer zu Greisen in der Musik geworden. Der
Iazz gehL in die Beine, nichL in den Geist: ein Geist aber, der leer bleibt,
schloLLerL greisenhafL.

Bei GelegenheiL der Rundfunksendnng einer Serenade aus dem XVII. Iahr-
hunderL LeilLe der DirigenL erläuLernd miL, daß das SLück auch einen Tanz
enLhalLe, der von den Kanarischen Inseln stamme, und übereifrig fügLe er
hinzu, es sei damiL erwiesen, daß auch schon um jene ZeiL der eroLische Tanz
gepflegL wurde, nichL anders wie heuLe z. B. der Iazz. Der Lreffliche DirigenL
konnLe das behangLen, weil er offenbar den LlnLerschied zwischen wirklicher
Kunst und einer noch voranfänglichen Nuturmusik übersah. Mögen denn auch,
wie der DirigenL erzählLe, die Tänzer von damals sogar bei Hofe die wilden
Masken der Kanarier angelegL haben oder nichL, der musikalische Satz von
dazumal war — und darauf kommL es an — durchaus kunstgerecht, was aber
vom Iazz wirklich nichL gesagL werden kann.

Demokratisches, allzu DemokraLisches in der DichLkunst:

Ein Lessing setzL sich selbst zum KriLiker herab, der KriLiker von heute setzL sich
zum DichLer hinauf...

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