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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1931)
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Schmitt, Carl: Zur politischen Situation in Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0299

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Zur jwlitischen SituaLion in Deutschland

Vorbemerkung der Schriftleitung: Die folgende Rede wurde von dem Berliner SkaatS-
rechtlehrer Carl Schmitt auf der Tagung des Langnam-LereinS gehalten. Wir erachten
seine Ausführungen für fo außerordentlich wichtig, daß wir sie unfern Lefern nicht
vorenthalten möchten.

s ist em statistisch leicht zu beweisendes Phänomen, daß eine außerordentliche

^--^Vergrößerung und Expansion des Staates eingetreten ist und der Staat sich
aus Kosten der sreien Wirtschaft ungeheuer ausgedehnt hat. Als Antwort auf diese
Feststellung rusen viele nach einer Neform, nach einer Zurückdrängung des StaateS,
einer Zurückführung auf sein natürlicheS und richtiges Maß gegenüber der freien
Wirtschaft. Aber dazn gehört Mut und Kraft und eine Neihe von Qualitäten,
von denen es sich fragt, wo sie sind und woher sie kommen sollen. Wo ist der
starke Staat, dessen Stärke sich vor allem darin beweisen soll, daß er sich selbst
auf sein natürliches Maß zurückführt? Das ist ein politisches Problem, ein
Problem politischen und nicht nur wirtschaftlichen WillenS, und wenn man nicht
in die blaue Luft hinein Programme und Forderungen aufstellen will, die natüclich
leicht allgemeine Zustimmung finden werden, muß man auch diese Frage stellen:
Wo sind denn heute die mnerpolitischen Kräfte, die solche Forderungen zu ver-
wirklichen und durchzuführen imstande sind?

Auch die Forderung einer Verfassungsreform oder einer Neichsreform, die heute
zweifellos aktuell ist, verkennt meiner Meinung nach große Schwlerigkeiten
und Hindernisse der heutigen Lage. Es ist ganz selbstverständlich, daß eine
Reichsorganisation und daneben 17 Länderorganisationen mit 16 höchsten
Spitzen und einer üppig wuchernden Selbstverwaltung eine Rationalisierung ge-
radezu herausfordern. Es liegt mir fern, zu sagen, daß solche Reformpläne
keine notwendige und nützliche Angelegenheit seien. Aber ich glaube, damit ist der
Kern der Sache doch noch nicht ganz getroffen. Wir müssen die Frage stellen:
Was sind heute in Deutschland die effektiven politischen Kräfte, die den gegen-
wärtigen reformbedürftigen stutus guo halten?

Der innerpolitische Zustand hat nämlich die ganz ungeheure Wucht, das ganze Schwer-
gewicht des ststus guo. Es ist im politischen Leben so, daß wer im Besitze der politi-
schen Macht und des politischen Einflusses ist, so ipso eine spezifische Art von
Übermacht und blberlegenheit hat. Jn Deutschland kommt noch hinzu, daß die geltende
Reichsverfassung Änderungen im Wege des normalen Gesetzgebungsverfahrens sehr
erschwert, ja fast unmöglich macht. Es gibt kaum ein wichtiges und interessantes
Gesetz, von dem man heute nicht behaupten und mit den Gutachten berühmter
Juristen belegen könnte, daß es verfassungsändernd sei, d. h. nur mit Zweidrittel-
mehrheit deS Reichstages und des Reichsrates zustande kommen kann. Was das
bei den heutigen Parteiverhältnissen bedeutet, ist ohne weiteres klar. Ein kaum
übersteigbarer Schutzwall legaler Verteidigungsmittel steht dem heutigen inner-
politischen stgtus guo zur Verfügung. DaS Schwergewicht der heutigen Zustände
ist, politisch betrachtet, so drückend und stark, daß mit noch so rationellen und ver-
nünftigen Forderungen schwer dagegen anzukommen ist.

Deshalb handelt es sich auch in erster Linie, wenn ich meine Meinung offen sagen
darf, nicht so sehr um das Problem des Föderalismus und der einzelnen Bundes-
staaten, um die Beseitigung einiger der 17 Staaten, um die Frage einer diffe-
renzierenden Gesamtlösung und deren Einzelheiten; in gleicher Weise ist die Frage,
wie man die Schwierigkeiten der heutigen Selbstverwaltungspraxis mit gesetz-
geberischen Reformen beheben kann, im Augenblick nicht die erste Frage. Viele
Reformer gehen von der weitverbreiteten Vorstellung aus, daß man, wenn
ein Zustand unerträglich wird, nur ein Gesetz zu machen brauche, um alles in

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