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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1931)
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Brock, Erich: Julien Green
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0355

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Krampf und GewollLheik, und darum eben in bedeuLender nnd wirklich anf-
schlußreicher Weise aus dem Wesen der GegenwarL kommL, isi schließlich
wohl allein die Prosaepik, die Nvvelle und vor allem der Roman. Noch
keine ZeiL vorher haL so das, was sie wirklich und nichL nur in angequälLer
Weise bewegLe, im Roman sich von der Seele geredeL. Darum hat auch keine
ZeiL noch einen so problemreichen, echLen und im gewissen Sinne auch siarken
Noman gehabL wie die unsrige — was besonders gilL, wenn wir in den Be-
grisf GegenwarL noch einen Teil des 19. IahrhunderLs einbeziehen.

Solche Gedanken drängen sich wieder einmal besonders auf, weun man das
in wenigen Iahren hervorgeLreLene ersiaunliche Werk des sungen Franko-
kanadiers Inlien Green vor sich hinsiellL. 1926 miL seinem ersien, bereiis
meisterliche Reife zeigenden Buch vor die ÄffenLlichkeiL geireLeu, veröffentlichLe
er vergangenes Iahr sein vierLes, und zusammengenommen bilden diese vier
ein Zeugnis, das so unumwunden und noLgedrungen aus dem Herzen unserer
ZeiL zu uns sprichL wie kaum noch eLwas anderes. Denn wollLe wohl jemand
im Ernsie leugneu, daß uichLs unserer ZeiL so von Herzen kommt wie der
Angsischrei der EndlichkeiL*, und daß, was wir au PosiLivem zu einem ueuen
Aufbau vorzuweisen haben, nichL die Lausend bunten oder siarren Gebärden
und TrachLen einer vergangenen Zeit von Einheit und Größe sind, in denen
wir entscheidungslos uns selbsi eiwas vorzuspielen suchen — sondern allein
die ErkennLnis vou der HeillosigkeiL jener Angsi des Endlichen, wenn uud
soweik sie uns aufgegangen isi? Wie muß sich diese Lage einem, dem sis
gründlich aufgegangen isi, im besondern von Frankreich aus darsiellen? Lange
ZeiL haLLe der französische Geisi es vielleichi leichter, als man es anderswo
haL. MiL glücklichem InsiinkL ließ er die Dinge in sich selbsi schweben, in
einem Sinne, dem eine unausgesprochen einwohnende FrömmigkeiL nichL fehlte
und der doch durch EinhalLung der Grenzen der Meuschheit eine unmiLLel-
bare FruchLbarkeiL für Leben und Kunsi sich wahrie. Allein im Augenblick,
in dem der Versiand dieses VerhälLnis auf Prinzipien und Rezepte bringen
wollte, mußte er gegen alles jenseits jener Grenzen Liegende, in welches
doch das immanenLe Leben ahnungsvoll seine Wurzeln sandte, angsivoll has-
sende Abwehr richten. Was übrigblieb, gerade im französischen Noman, war
starke, seelenkundige Durchdringung des Menschlicheu und ein siarkes HalLen an
der FesiigkeiL des Stofflichen. Uud der Meusch mußte in eine Stellung gedrängL
werden, in der alles Sein oder NachLsein von der Befriedigung des diesseitigen
Glücksverlaugens abhing. Isi jemals anderswo insbesondere der unbefriedigie
GeschlechLsLrieb, wie er das ganze Leben, die ganze WirklichkeiL dumpf läh-
mend vergifteL, in seiner widersiands- und hoffuungslos alles überschaLLenden
AllmachL so bedrückend wiedergegeben worden wie in FlauberLs „I^ovscnbrs",
RkaupassanLs ,,bort 6orum6 1u niort", Rivieres ,Riin66", Lacretelles
„U^rrneliu" (auch Green hak im Anfang seines „LeviaLhan" eine solche, der
Handlung zum Ausgang dienende Schilderung, die den eben angeführten
wahrlich nichL nachsieht)? Isi aber an solchem scheiubar äußersien Leiden
das BewußLsein aufgebrochen, daß es jenseits dieser GreifbarkeiL keinen Sinn
mehr gibL (und die relative WahrheiL dieser PosiLion für den heutigen Men-

* Welchen an sich alle Zeiten gekannt haben, vom Gilgamesch-Epos bis auf Kierkegaard
nnd Heidegger.
 
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