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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 5 (Februarheft 1931)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0391

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Auch daß Gregori, für dessen allem Künf-
tigen aufgeschlosseneö Tradiüonbewußt-
sein die in der Führerkrise lebensgefähr-
lich erkrankte Bühne nicht die bescheidenske
Intendanz verfügbar hatte, dessen be-
deutendem Kopf keine Hochschnle, sich
selbst zur Ehre, den Doktorhnt aufsetzte,
dennoch ein heiterer Mensch nxir, ist rich-
tig festgestellt. „Schließlich gefällt der
am meisten, der am wenigsten Kritiker
sein tvill und sich mit seiner Menschlich-
keit begnügt. Auch das ist Kultur." Fer-
dinand Gregori vertrat Menschlichkeit und
Kultur in einer Zeit, die längst beide Be-
griffe zur Wortscheidemünze entwertet
hatte, und der Umgang mit ihm entführte
auf eine gesegnete Jnsel, so wenig hier
etwa Zeitfremdheit sich in Rückschrittlich-
keit geltend machen wollte. Der Schau-
spieler und Regisseur hatte Entsagung gs-
lernt, und der pädagogische Grundantrieb
eines reichen Menschen wirkte sich mit
verdreifachter Leidenschaft durch das „Ge-
sprochene Wort" aus, das denn
auch dem auS vollendeten Aufsätzen und
bewahrenswerten VortragSentwürfen zu-
sammengestellten Nachlaßband (im Ver-
lag von H. Haessel, Leipzig, erschienen,
Ganzl. M. 6.—) den sinnvollsten Namen
leiht.

Wie der Schauspieler und Rsgisseur Gre-
gori den Sprung in die alleinseligma-
chende Prominenz niemals auch bloß ver-
sucht, wie er, bei durchauS ungeschwächter
Hingabe an den geliebten Beruf, allezeit
sich darin beschieden hat, Träger und
Präger, Heger und Pfleger des werk-
treuen EnsemblespieleS zu sein, so bleibt
auch, was er schrieb, meilenweit geschie-
den von dem eitlen Kram, mit dem die
Heroen der Leinwand um die illegitime
Gunst der Verdummten zu buhlen pfle-
gen. Während sie, durch die Mittlerschaft
gefälliger Propagandachefs, unermüdlich
schildern, wie sie ihr angebliches Herz in
Heidelberg verlorsn, im fridericianischen
Potsdam stählten und in Wien neu ver-
goldeten, wie sie vor lauter Drang zur
ländlichen Scholls auf dem begehrten
Weg nach Hollywood gar nicht aus noch
ein wissen, gab sich Ferdinand Gregori
mit so entlegenen Dingen wie „Vorbil-
dung des Schauspielers" und „Aufgaben
des Spielleiters" ab, pflegte er vollends
den tiefsten und letzten Zusammsnhängen
von Laut und RhythmuS, Sprache und
Dichtung nachzusinnen. Nicht allein dem
Dichter, sondern auch dessen Mittlern

wußte er der Menschheit Würde zur Be-
wahrung zugeteilt, und alle Leidenschaft
seines HerzenS und Hirns setzte er an die
Aufgabe, über die gewaltige Verantwor-
tung aufzuklären, mit der er die demütig
herrschenden Diener am gesprochenen
Wort belehnt sah.

Der Vsrgänglichksit schauspielerischen
Ruhmes, wie sie selbst minder kurzlebi-
gen Zeiten als dieser Gegenwart verhängt
ist, wirkt der glückliche Umstand entgegen,
daß Gregoris bedeutende und singuläre
Persönlichkeit sich auch schriftstellerisch
stets höchst gewichtig auszuprägen wußte,
daß dieser Bildner, hierin nur dem Dich-
ter Kayßler allenfalls vergleichbar, so
bildgültig zu reden vermochte, wie dem
Deuter der eigenen Kunst und ihrer müt-
terlichen Schwesterkünste eben vonnöten
war. Dem gesprochenen Wort lebte in
dem Zeitalter sträflichster Sprachver-
wahrlosung kein treuerer Hüter als die-
ser unerbittlich gestrenge Volkserzieher,
dem als der wesentlichste Dienst am
Deutschtum galt, die Gewissen seiner
Schüler, unter dsnen ihm die Lehrer die
wichtigsten waren, unablässig zum Be-
wußtsein ihrer Verantwortung für
Ehrung und Mehrung sprachlichen Erb-
gutes aufzurütteln. Dieses Deutschtum
hinwiederum auf der Straße zur eitelkeit-
losen Verinnerlichung dem höheren Sinn
einer Weltlitcratur in Goethes Auffassung
einzuschmelzen, war das Ziel, dem Gre-
gori, srei von allen Vorurteilen, aber
am freiesten von der Versuchung zur
Jagd hinter der falschen Aktualität im
Bezirk des Geistigsn, nachstrebte.

Die Bühnenleiter, auch die dem neuen
Darstellungstil ergebenen, wußten wohl,
warum sie Gregoris Schülern vor ande-
ren Anfängern den Vorzug zu erteilen
hatten: dieser Lehrer gab seinen Zöglin-
gen zuvörderst seine ethische BerufSauf-
fassung mit und durchdrang die jungen
Menschen mit der eigenen unbeirrbaren
Sauberkeit. Auch in diesem Sinn bedeu-
tet das letzte Buch ein kostbares Ver-
mächtnis.

„Was ist der Himmel anders als die
Erfüllung irdischen BegehrenS — jen-
seits des Geldes!" Jenseits des Gel-
des stand dieser Ferdinand Gregori trotz
jedem Zeitgenossen. Der Nachlaß zeigt
ihn noch einmal in der wahrhaft guten
Gesellschaft, in der er immer heimisch
war: wie er von Schiller und Goethe,
über Kleist und Grillparzer, Keller und

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