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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1931)
DOI Artikel:
Kraft, Werner: Über Christian Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0444

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In seiner engeren HeimaL erfreute er sich einer gewissen Berühmtheit als
VolksdichLer. Liest man in Gustav Landauers bedeuLendem Brief an Hedwig
Lachmann vom Zo. Iuli igoo die Sätze: „Wie er sich da, der kleine
verhutzelLe Mann, erhob und ohne RückhalL ausrief — es war am WirLs-
hausLisch bei gleichgülLigen Philistern: ,Wir müssen die WelLmachL in unsern
Dienst zwingen! Es ist schwer, und miL GewalL gehLs nichL, nichL miL Ge-
walL/ so spürL man das deuLsche Schicksal. Während ein Tolstoi miL seinen
Ideen die WelL erschüLLerL, lebL und stirbL ein deuLscher DichLer einsam und
verlassen, miL der biLLeren Klage auf den Lippen, die alle deuLsche GeistesnoL
heraufbeschwörL: ,Während der GöLLliche darbL, seierL der Pöbel sein Festck"
Daher das Trostlose, Leere eines solchen Lebens — die EinzelheiLen mag man
bei WelLrich nachlesen —, eines Lebens, in dem nichLs als Mühe, ÄrbeiL,
Leiden war, ohne die schöne GemeinsamkeiL geistigen Bestrebens, ohne die
leiseste AnLworL eines Bolkes oder eines es würdig repräsenLierenden Teiles.
Was bedeuLen die zwei ILalienreisen, die Gönner ihm ermöglichLen, gegen die
MonoLonie seines „Wochenkalenders", die er in einem GedichL festgehalLen
haL, welches für jeden Tag der Woche das gleiche „enLsetzlich" bereithälL!
Bersuche, aus eigener Anstrengung zu ersetzen, was die ZeiL ihm nichL ver-
gönnLe, mußLen scheiLern. 2lls mächLiger Ausgleich aber für alles VersagLe
war ihm das GrößLe gegeben. In seinen hohen Augenblicken war er nichL
AuLodidakL, soudern DichLer, nichL BildungsdichLer, sondern SprachdichLer.
Es gibL seinen besten GedichLen den individuellen CharakLer, daß in ihnen
noch die sprödeste aLomistische, mystische oder magische Lehrmeinung lyrisch
bezwungen wird, so wenig ist diese Lehrmeinung das Kleid dessen, der nichLs
ist, so ganz und gar der notwendige Ausdruck dessen, dem der Sprachgeist
HLlfL, die Lrübseljgen Behelfe der Bildnng in GluL und Feuer zu verwandeln.
Eine neue, von W. Rutz herausgegebene Llusgabe vonWagnersDichLungen zube-
urLeilen, fällL darum schwer, weil sjch der Herausgeber miL sichLlicher Liebe und miL
wirklicher EinsichL einer Aufgabe unLerzogen haL, von deren NvLwendigkeiL er doch
nichL völlig zu überzeugen vermag*. Die Ausgabe wird von einem herrlichen Bilde
Wagners geschmückL, in welchem der einzigarLige Zug im Wesen dieses
Menschen, der heroische Wahnsinn als Konsequenz reLLungsloser Hingabe
an die SchönheiL, palimysestarLig unLer bäuerlicher Stärke hervorblitzL. Das
VorworL ist liebevoll, gründlich und stellenweise Lief. „Man kann im gan-
zen wohl fünf HaupLadern unLerscheiden, dre sich im Organismus seiner
DichLung verbinden, kreuzen und überschneiden: die christlich-indische, die
germanisch-heldische, dje hellenisch-dionysische, die stoisch-yanLheistische, die dämo-
nistisch-magische." „Dieser Wagner besaß gleichwohl nichL das mindeste
Berständnis für die dorL beliebLe Verherrlichung des Krieges, nicht einmal
für seine zwangsläufige NoLwendigkeiL, und wenn die ,Reimchronik des gro-
ßen Krieges^ auch die Verse Wagners bringL ,KamyfLüchLig sei das kom-
mende GeschlechL^, so beruhL dies auf einer völligen Berkennung der Idee
dieses GedichLs, das den Geisteskampf um die Verwirklichung des ,Neuen
Glaubens^ meinL: dieses Glaubens, der um Kampf gegen alles BluLvergießen
aufrufL!" Wunderschön isi, was Rutz über Wagner als Künstler sagt:

° Christian Wagner: Dichtungen. Herausgegeben von Wilhelm Rutz. 2 Bde. Stuttgart,
Bonz L Co., Ganzl. je M. 2.—.

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