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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1931)
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Baur, Karl: Adolf Loos
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0452

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sanee eineS hohlen Bürgertums, hüben die Modernen, die Iungen, die die neue Welt
entdeckt zu hcrben oorgaben und munter den auSgetretenen Spuren des Propheten
folgten. — DieS letztere erlebten auch andere schmerzlichst; nebenbei nur seis gesagt.
— Und ist Loos m'cht ein ebenso scharfer Kritiker jener Architektur, die sich als letzte
Osfenbarung preist? O! LooS hat sein Leben lang behauptet, die Architekten seien
alle Verbrecher, und er ist sicher viel zu starrköpfig, um seine Meinung heute noch
zu revidieren. Wo ist also sein Publikum? wo die breite Front der Zeitgenossen,
die sich jubelnd und verehrend zu ihm bekennen darf?

Wenn LooS heute ein Name ist, den auch Herr Müller und Herr Schulze irgendwo
gelesen haben, so verdankt er dies, so paradox es klingt, nichts so sehr als der Ge-
burtStags-Presseseuche. Ohne sie wäre er erst nach seinem Oode berühmt geworden.

Als junger Mensch ging er hinauS in die Welt. Es war die Zeit, als man schon
nach England und Amerika mußte, urn zu sehen, was Wohnkultur ist. Hier wurde
er der moderne Architekt, der trachtet, aus den Funktionen des Wohnens den Grundriß
zu gestalten. Er sagt viel Grundgescheites darüber, wie Haus und Wohnung werden
und sein sollen. Das schöne Wort „Wohnmaschine" hat man freilich erst später
erfunden. „An die Stelle der auf unseren Hochschulen gelehrten Bauweise, die teils
aus der Adaptierung vergangener Baustile auf unsere Lebensbedürfnisse besteht, teils
auf das Suchen nach einem neuen Stil gerichtet ist, will ich meine Lehre setzen: die
Tradition." Und ein andermal: „Geschmackvoll bauen ist noch kein Verdienst, wie
es kein Verdienst ist, das Messer nicht in den Mund zu stecken, vder sich 'des
Morgens die Zähne zu putzen. Man verwechselt hier Kunst und Kultur." „Der Archi-
tekt muß den Geist dessen ausdrücken, was er zu bauen hat. Das Zimmer mnß ge-
mütlich, das Haus wohnlich auösehen." Wohnen ist ihm die lebendige Beziehung
zwischen Haus und Mensch. blnd so plaudert er nicht nur über Tische, Betten und
Stühle, sondern auch über Essen, Schlafen und Sitzen.

Loos war sein Leben lang ein Sonderling; aber er brauchte nicht Dieffenbach-
Sandalen oder Iäger-Hemden, um eiue Persönlichkeit eigener Prägung zu sein. Er ist
Weltmann im besten Sinne, und jede Lebenöfunktion wird khm zu einer selbstversbänd-
lichen Geste eines natürlichen, gepflegten Geschmacks. Das ist freilich oft genügend, um
als Sonderling verschrien zu werden. „Es handelt sich darum, so ungezogen zu sein,
daß man am wenigsten auffällt," sagt er. Und dann plaudert er über Gamaschen und
Hüte, über Fräcke und Schuhe, Haarschnitt und Monokel. Diese Essays sind in ihrer
Knappheit und in ihrer oft bitter ironisierenden Prägung wahre Meisterstücke.
Er kommt aus dem Handwerk. Den Iahren, da er als Maurer in Amerika arbei-
tete, verdanke er mehr als dem Polytechnikum, sagt er. Hier lernte er das Werk
der Hände verstehen und lieben und wurde so zu einem Vorkämpfer für neue Hand-
werkskultur. „Wir brauchen eine Tifchlerkultur. Würden die ,angewandteiL Künstler
wieder Bilder malen oder Straßen kehren, hätten wir ske." Es war die Zeit, als
man die Kunst inS Handwerk tragen wollte. „Die Überflüssigen" — das waren ihm
Werkbund und Wiener Werkstätten. Zu den prächtigsten seiner EssayS gehört jene
Geschichte von dem „phantasielosen" Sattlermeister, dem ein Professor Entwürfe
für moderne Sättel vorlegt und dem der Meister antwortet: „Herr Professor! Wenn
ich so wenig vom Reiten, vom Pferde, vom Leder und von der Arbeit verstehen tvürde
wie Sie, dann hätte ich auch Ihre Phantasie." Loos schließt: „Und nun lebt er
glücklich und zufrieden und macht Sättel. Moderne? Er weiß es nicht. Sättel."
Nichts aber hat er zeitlebens leidenschaftlicher befehdet als das Ornament. „Ornament
ist vergeudete Arbeitskraft und dadurch vergeudete Gesundheit." Mehr noch: „Der
Weg der Kultur ist ein Weg vom Ornament weg zur Ornamentlosigkeit." In dem
kurzen Vorwort zu seiner zuletzt erschienenen Sammlung von Aufsätzen schreibt er:
„AuS dreißigjährigem Kampf bin ich als Sieger hervorgegangen." Man mag sich
gerne mit ihm freuen. Aber nach einem Doppelpunkt fährt er fort: „Ich habe die

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