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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1931)
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Megerle, Karl: Wirtschaftliche Laienpredigt
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0459

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Wird unter diesen Umständen nicht Armut zur Schande und zum sozialen Dorwurf,
zvmal in der Stadt, wo sie nicht die soziologischen und seelischen Voraussetzungen
vorfindet, die Armut auf dem Land noch erträglich macht? Ferner: vergißt man
denn die Tatsache, daß es seelisch gesehen nichts SchwerereS gibt, als neue Be-
dürfnisse, neue Genüsse, gesteigerten Verbrauch zu ertragen und zu assimilieren? Die
Massen des deutschen Volkes waren und sind in keiner Weise seelisch auf den Kultus
deS Konsumgötzen vorbereitet. Vergißt man, daß man ein Dolk heranwachsen läßt,
das nicht mehr bereit sein wird, Entbehrungen auf sich zu nehmen? Und wie wollen
wir denn ohne Entbehrungen unsere Freiheit erringen? Jn Wirklichkeit ist doch der
der Starke, der im Leben Unerschütterliche und Unverletzliche, der entbehren kann.
Jhn treffen weder die Krisenzeiten so hart, noch begibt er sich in Abhängigkeit von
denen, die ihn zum Konsum ermuntern. Konsumkraft ist letzten EndeS eine prolo-
tarische Haltung, ist eben jenes von der Hand in den Mund leben, daS Händ in
Hand geht mit unaufhörlicher Unzufriedenheit und innerer Haltlosigkeit. Die Irr-
lehre von der Konsumkraft begünstigt auch jene Tendenz, die darauf auSgeht, immer
neue Bedürfnisse zu schaffen und damit die biologische und seelische „Ausbeu-
tung" des Menschen zu beschleunigen. Denn nicht nur wir verbrauchen die Dinge,
sondern die Dinge verbrauchen auch uns, und um so mehr, je disferen-
zierter die Bedürfnisse geworden sind. Unsere Wirtschaftler haben vergessen, daß
die Wirtschaft es mit Menschen ebenso sehr zu tun hat wie mit Dingen und Werten,
daher die Hohlheit und Ohnmacht aller Hilfsmittel, die angepriesen werden. Sie
lassen den menschlich-seelischen Faktor außer acht.

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Dabci ist das Iammern über den nachlassenden Konsum um so verwunderlicher, als
wir doch gradewegs auS einer Zeit kommen, in welcher der Konsum gegenüber der
Dorkriegszeit quantitativ, vor allem aber qualitativ rapid gestiegen ist. Man zeige
unS den Durchschnittsdeutschen — ausgenommen jene tapfere und stolze Schar der
sterbenden Rentner und Rentnerinnen des deutschen Mittelstandes, die nun ein uir-
zählbareS Kapital an Stolz, Entbehrungs- und Verzichtskraft mit inS Grab neh-
men —, dessen Lebenshaltung nicht im Ganzen, mindestenS aber auf oerschiedenen
Gebieten über der Vorkriegszeit liegt. Und selbst da, wo er persönlich nicht besser
lebt, da nimmt seine Lebenshaltung oder die seiner Kinder teil an dem Standard,
den die ösfentliche Hand in irgendeiner Form geschaffen hat. Wir brauchen nur
einige Gebiete zu nennen, um anzudeuten, was wir meinen: KoSmetik, Seide und
Kunstseide, Auto, Radio, Grammophon, Vergnügungen, Gaststätten, Schulwesen,
Sport, Hygiene, Sozialgesetzgebung usw. In Wahrheit kam auf den deutschen
Tisch seit Jahren vorgegessenes Brot. Wir haben nicht zu wenig, sondern zu viel
verbraucht für unsere Verhältnisse, in jeder Weise und an jedem Ort. Der Einzelne
wie der Stand, der Staat wie die Gemeinde.

DaS ist übrigens wohl auch die wahre Ursache der Krise in Amerika, wo der Arbeiter
ig2Z schon daS Auto zuschanden gefahren hat, das er erst igzo hätte kaufen können.
DaS ehrwürdige Sprichwort „Spare in der Zeit, so hast du in der :skot^, wurde
ersetzt durch daü System der Ratenzahlung, des Stotterns, damit ja die Konsum-
kraft nicht versiege. Nun sind wir so weit, daß zwar Dinge, die wir für deü Lebens
Notdurft brauchen, teilweise im Überfluß vorhanden sind — teilweise allerdings
auch nicht, wie z. B. Wohnungen —, aber diejenkgen, die sie brauchen, können sie
nicht kaufen, weil sie schon vorher mehr verbraucht haben, als sie verdient haben.
Auf diese Formel läßt si'ch wahrscheinlich auch die Arbeitslosigkeit zurückführen.
Denn wer so gegen den natürlichsten und biologisch gemäßesten Grundsatz sündigt,
daß man wirtschaftlich um so stärker und unangreifbarer ist, js weniger man be-
nötigt, der wird von einer Sünde in die andere geschleppt. Mäß man die Wirt>-

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