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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1931)
DOI Artikel:
Hofmiller, Josef: Ottobeuren
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0657

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Wissenskram zu Hause läßt, wird man still und das Werk beginnt zu reden.
Man versucht nicht mehr, dahinter zu kommen: Kunst hat kein Dahinter.

Die Kirche ist sonderbar groß. Man hätte sich nicht vorgestellt, daß sie so
groß ist. Sie ist von innen größer als von außen. Das ist das erste Gesühl:
das des Raums.

Zu ihm gesellt sich zugleich ein sarbiges: viel Weiß, wenig Gold, lanter
zarte Töne, erst gegen den Hochaltar zu wird es bräuner, das Langhaus ist
kühl, hell, vornehm, Weiß herrscht. Die Halbsäulen und Wandpseiler aus
Stuck sind so unaufdringliih marmorgetönt, daß alle Farben in ein perl-
mutterschimmerndes Grau zusammenklingen, mit schwebenden Untertönen von
rosa, gelb, ocker, violett. Nichts von goldenem Schwelgen, kein purpurnes
Prangen, kein glühender Rausch, und dennoch wirken die hellen Senkrechten
der Wände, wirken die gestaltenersüllten dunkleren Flachkuppeln der Gewölbe so
farbig wie slandrische Wcmdteppiche, weil sie zwischen lauter Weiß stehen.
Selbst sür einen Barockbau ist die Kirche überraschend hell. Woher kommt
das viele Licht? Steht man unter der Eingangsempore, so sieht man nur zwei
Fenster des Mittelschiffs, alle andern kann man aus der jeweiligen Tages-
beleuchtung lediglich erschließen. Denn alle Fenster, mächtig hoch und breit,
bogensörmig oder gerade abschließend, lassen das Licht in voller Wucht
einströmen. Von allen Seiten bricht es herein, ungehemmk, nirgends sind die
Lichtquellen durch Kulissen verhüllt, nirgends das Glas getont, das Licht im
Fnnern ist sast so stark wie das anßen, eine Seite wirft es der andern zu,
die gibt es, um ihr eigenes vermehrt, zurück; so steht alles in einem gleich-
mäßigen Licht, das nicht nur an beßimmten Stellen nn'tbaut, sondern den
ganzen Raum taghell macht bis in die lehten Winkel. Erst im Priesterchor
mit der sensterlos abschließenden Wand des Hochaltars, dem bräunlichen
Chorgestühl und der Orgelgewandung, beruhigt sich das siegreiche Licht nnd
wird dienend: dämmernd und seierlich ßeht der 2lltar und dunkel und schön
schweben die Schalen der Kuppelfresken.

Erst jeHL besinnt man sich aus die Gegebenheiten und Bedingungen des Bau-
plans. Eine Basilika, jawohl. 2lber nur von außen ist wegen der Pultdächer
das Basilikale ausgeprägt. Das Innere wirkt einräumig. Warum nur?
Wir besinnen uns aus den großartigsten einräumigen Bau Süddeutschlands,
die Michaelshoskirche in München. Ia, das ist es: anch hier wird die Raum-
wirkung erreicht durch den Verzicht aus sreie Pseiler oder Säulen, einzig
durch das Mittel von Wand und Wölbung. Was von außen als Seiten-
schiff erschien, erweist sich innen als Seitenkapellen von mäßiger Raumtiefe,
aber, gegen das Mittelschiff zu, von ungewöhnlicher Bogenhöhe, außerdem
sehen die Kapellensenster sehr hoch an und reichen fast bis zur Decke, so
daß sie von innen eher wie die einer Hallenkirche wirken. Zudem sind die
durch die eingezogenen Streben gewonnenen vier Kapellen rechts und links
so schmal, die Bögen rücken so nah an den Mittelraum hinauf, daß sie nicht
mehr als Näume sür sich empsunden werden, sondern mit dem Hauptrcmm
verschmelzen; dies um so mehr, als vorn der Priesterchor den Kapelleu-
grundriß des Gläubigenraums nur auf dem Papier beibehält, nicht sürs

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