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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1931)
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Berrsche, Alexander: Wenn man von Salzburg nach München fährt
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0897

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WerbekrasL haben, fühlt ihr euch sicher vor aller Gefahr. Ihr erliegt dem
Zauber des WorLes, der einseitigen Bildkrafk von Vorfiellungen, die ihr
mit gewissen WorLen verknügfL. Und ihr vergeßL, daß die WirklichkeiL man-
nigfalLiger und vieldeuLiger ifi als die Sprache. Jhr vergeßt, daß die
NaLur nicht die Sprünge liebt, sondern die feinen, unmerklichen Übergänge.
Ein Volk geht nicht von heute auf morgen zngrnnde. Der Bolfchewismus
wird, wenn nicht fchwere äußere Katasiroghen ihm die Wege bereiten, unser
Volk nichL im Sturm nehmen wie ein großer ausländifcher Dirigent. Es
wird kein Triumphzug sein, sondern ein Fäulnisprozeß. NichL weil wir die
Gefahr kommen sehen, werden wir ihr erliegen, sondern weil wir sie nicht
kommen sehen. Wie ein Bazillus wird sie erft dann von uns Besitz ergreifeü
können, wenn unser Organismus genügend gefchwächL, unsere infiinktmäßige
AbwehrfähigkeiL genügend herabgemindert, die SchmerzemgfindlichkeiL unseres
nationalen Ehrgefühls genügend beLäubt ifi. Jch sehe an Lausend SymgLomen,
wie weiL wir es fchon gebracht haben. Wer sich vor dreißig Zahren in
DeuLfchland mit der Behauptung hervorgewagt häLLe, Beethoven und Wag-
ner seien eigenLlich ungemein überfchätzte Größen, dem häLLe zum mindefien
ein entrüßetes, allgemeines ,Warum?^ geanLworteL. HeuLe anLwortet man:
,Warum nicht!^ Das ifi der ganze UnLerfchied. Sie können heute in DeuLfch-
land alles bezweifeln. Sie können die unerhörkefien Behauptungen auffiellen.
Solange Sie nichL die BerwegenheiL besitzen, einen berühmten Ausländer an-
zugreifen oder irgendein WorL fallen zu lassen, das die GeldbeuLelinLeressen
Ihres GesprächsparLners berührL, bleiben Sie ein feiner Kerl. Ein bewun-
derndes ,Warum nichS wird Ihnen immer anLworten, wenigfiens im Ge-
sichLsausdruck des anderen, auch weun der Mund sagt: ,2lber nein, so was^
oder ,Sie sind einer!^ Es ifi der Lragifche IrrLum von euch Politikern, zu
glauben, daß ein Bolk, das seine Kunfi und damit seine Seele nicht mehr ernß
nimmL, Lrotzdem im Ernfifall noch, wie der fchöne Ausdruck lautet, bei der
Stange zu halten sei. Ich sage Ihnen: der wahre und einzige PaLrioLismus
kommL aus dem Bewußtsein gemeinsamer KulLurwerLe. Wir können kämp-
fen und fierben für das Bolk Bachs, MozarLs, BeeLhovens, GoeLhes und
Mörikes. Wenn Sie das unwichtig nehmen, dann beantworten Sie mir, biLLe,
die Frage, für wen und was wir sonß noch fierben sollen, wenn es einmal
ernfi wird. Sagen Sie mir, miL welchen Befchwörungen Sie die 2lnge-
hörigen eines Bolkes, das über seine idealen GüLer die Ächseln zucken kann,
dazu bringen wollen, ihr Leben für das einzusetzen, was von uns übrigbleibL,
wenn Sie unsere KulLnr wegdenken!"

Der 2lbgeordneLe wurde sehr ernfi. Nüch kurzem Schweigen sagie er: „Sie
sind doch ein sehr unvorsichtiger Menfch. Es fehlL Ihnen so ganz das Gefühl
dafür, wieviel man gerade noch sagen kann, ohne sich zu fchaden. Ich habe
Sie ja immer gemochL wegen Ihrer rücksichtslosen Ehrlichkeit, aber Ihre
WorLe, die ich, soweiL sie sich gegen den heutigen MaLerialismus richten,
gerne unterfchreibe, haben doch einen UnLerLon von FanaLismus, der mir gar
nichL gefällL. Nckir kommL es fafi so vor, als habe der Bolfchewismus, vor
dem Sie warnen, Sie selber fchon ergriffen. Sie sagen nu'L dürren WorLen,
daß Sie nur für ein Volk von MozarLverehrern uud ähulichen Leuteu Ihr
Leben aufs Spiel setzen wollen. Das ifi hochmükiger ÄfiheLizismus. Sind Sie

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