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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 10 (Juliheft 1931)
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Jostock, Paul: Untergang des Kapitalismus?
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Hofmiller, Josef: Lena Christ
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0732

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dem System selbst herauswachsen, wie Verbandsbildung und BürokraLi-
sierung, als auch dnrch soziale Gegenströmungen, die aus seelischer Empö-
rung oder aus rationaler Berechnung für die Umwandlnng zur Gemein-
wirtschaft kämpfen. Diese letztere Gruvge grundsätzlicher Gegner stellt zwar
eine starke ideelle nnd sür die Zukunst anch eine wachsende soziale Macht
dar, würde aber wohl kaum jemals zum Siege gelangen, wenn nichL der
KapiLalismus selbst an die Grenzen der Erde stieße nnd gleichzeiLig, miL
der raLionalistischen Ausreisung seines ApparaLes wie der langsamen Ber-
sandung des Bevölkerungsstromes, von innen herans in Erstarrung versiele.
Nachdem ein Jahrhundert lang immer neue UnLergangsLheorien ausgedacht,
immer neue Pläne der Überwindung vorbereiLeL wnrden und der KayiLalismus
Lrotzdem ungehemmL weiLerwuchs, kann sich die Siegeshofsnnng seiner Gegner
sast nur noch an das sern ausLauchende Endziel klammern, wo der Riese miL
seinen schon ermaLLenden KräsLen an die unübersteigliche Wand stößL und
dann von den inzwischen erstarkLen Verfolgern eingeholL nnd gesesselt wer-
den kann."

Bon diesem Ziel sind wir heuLe noch weiL enLsernL. Wann es erreichL wird,
ob m diesem oder im nächsten ZahrhunderL, vermag niemand zu sagen. Es
heißL daher, sich einem naiven SelbstbeLrug hingeben, wenn man den Glau-
ben nährt, daß die gegenwärtige WeltwirLschafLskrise dem KapiLalismus das
LebenslichL auslöschen werde. Mögen die Jndizes aller 2lrL noch so stark
abwärts zeigen, es kommL der Tag, wo die Börse sich wieder ans Hausse ein-
stellt nnd die SchloLe wieder rauchen. Wenn das Zammergerede der Gegen-
warL eine FrnchL Lragen kann, so sei es die, daß das tiese BewußLsein von
der ReformbedürsLigkeiL unseres WirLschasLssystems in diese ZeiL hinüber-
gereLLeL wird und uns dann davor bewahrt, gedankenlos wieder alles Lreiben
zu lassen, bis die nächste Krise hereinbricht.

Lena Chrisi

Von Iosef Hofmiller

m Zo. Jüni 19Z0 waren es zehn Iahre, daß Lena Christ lautlos aus dem

^^Leben ging, znr Sühne für die Fälschung von KünstlersignaLuren, die sie
begangen haLLe, um in der Zeit allgemeiner GeldenLwerLung ein paar Bilder
zu verkausen. HeuL ist sie vergessen. Kein Mensch sprichL von ihr. Darum
will ich es Lun.

NachL einmal die LiLeraLnrgeschichLen kennen diese krasLvollste unserer süd-
deutschen Erzählerinnen. Waldemar Oehlke haL aus den 700 SeiLen Lexikon-
sormaL seines DeuLschen LiLeraLurwälzers seiL GoeLhes Tod nichL eine einzige
armselige Zeile sür die Lena Christ übrig. Der GeheimraL Oskar Walzel
nennL den Edschmid und den Corinth, den Ehrenstein und den Wolsenstein,
den Kaiser und den Kokoschka; er übersiehL in seiner deutschen LiLeratur-
geschichte weder Romain Rolland, noch Bernard Shaw, noch Barbusse. Die
Lena Christ nennt er nichL. Die Lasker-Schüler, die kennL er, die nennt er;
die Else Jerusalem auch. Die Croissant-Rust aber, die 2lnguste Supper,
Grete Aner, Anna Waser, Agnes GünLher, die kennL er alle nichL. Er nennL
auch RaiLhel nichL und Möschlin, weder BoßharL noch Hnggenberger.

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