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Südwestdeutsche Rundschau: Halbmonatsschrift für deutsche Art und Kunst — 1.1901

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Steinhausen, Wilhelm: Was ist deutsche Kunst?, [2]: nach einem Vortrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.12765#0817

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tctufenb 2)inge bes täglichen Sebent. sJiid)ts roax it)m gu profatfd)
unb weniger fef)en§= unb abbilbenswert. Unb bod) ging feine
^rjantafie weit barüber rjinaus: Gimmel unb .spotte, Stob unb
Teufel §og er in feine S)arfteHung hinein. (Sichtbar wollte et bie
geheimnisvollen, bie ©eele erfd)ütternben QSilber ber Slpofalnpfe
mad)en. ^t)n brängte es, burd) bie ©oangeliftengeftalten feine
innerfte Uebergeugung oon ber Sföatjr^ett bes ©oangeliums allen
f'unb gu tfyuen, unb, um nid)t mifwerftanben &u werben, fdjrieb er
Söorte ooll Straft unter bie Silber.

Unb wie er, fo fa§en unb liebten, um nur Flamen 51t nennen,
®d)winbt unb 9tid)ter alles ©efdjaffeue unb fudjteu es bod) mit
©eträumtem, @rfeb,ntem in Serbinbung 31t bringen. Stbet bas
Verlangen, (Binnlicrjes mit ©eiftigem, bas ©eringe mit bem |)öd)ften
in 2}erbinbung §u bringen, becft aud) immer ben .ßmiefpalt auf/
ber §rüifd)en allem @nblid)en unb Unenblidjen liegt, unb fjinter
bem f)öd)fteu ©lücfsgefürjl, in ber Suft an bem ^jrbtfcfien lauert
ber ©djmerg, bie Trauer.

(So führen uns alle großen Mnftler immer mieber an bie
©renken unfrei ©eins. $nbem fie uns 9uüfel lüften, geben fie
uns neue auf. @rof?e ^ragegeidjen ftetjen aufs neue uor uns,
nadjbem mir glaubten, fie bie $unft babe alle 2lengfte, alle Zweifel
§urücfgefd)oben. Ober ift es ntdji mafjr, baf; in ber ©eele aller
großen £ünftter unb ib,rer SSBerfe im ©runbe ein tiefes Seth
fcrjlummert? 9Ber bäcf)te nicfyt an bie fdjmerjburcfjbrungenen ©e-
ftalten 9JHd)el Singelos, SDürers 9)Mand)olie, 9tembranbts leiben;
fd)aftlid)es klagen unb büfteres Antworten — ein Tuntel, mand);
mal oon einem Sicfjtftrarjl burdjbrocrjen — fo rjellbunfel mag eS
in jeber SJlenfcfjenfeele fein!

Sßenn mir oon unfern 3)id)tern fpredjen, wer mollte felbft
einen ©oetrje baoon ausnehmen, beffen s33efenntniffe oft in wenigen
Sßorten fo ergreifenb baoon geugen; unb nid)t nötig ift es, auf
bie Sßerf'e unferer SJhtftfrjeroen rjinjuweifen. 2ld), oom «Sdjmerg
miffen fie am beften gu reben! Söäre es nicfjt fo, warum benu
finben wir unter uns fo wenig fogenannte rjarmonifd)e Staturen?
$ft nid)t eben ber ©runb bafür biefe im beutfdjen ©emüt befonbers
ftarfe Spannung, biefeS Verlangen, bas niemals im ©idjtbaren
ftd) gang befriebigt füf/lt unb an bie oergäuglidje SBett eine ewige
anbauen möchte ?
 
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