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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Die deutschen Katholiken und die Pflege der Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0025

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Heft 2.

nicht die Kraft gefunden hätten, unsere Zeitgeschichte uns
selbst und neu zu hämmern.
Unsere christliche Kunst soll aber nicht bloß moderne
Kunst sein, sie muß auch individuelle Kunst sein. Auch
dieser grundsätzliche Richtpunkt muß für unsere Kunst-
xflegebestrebungen mehr denn bisher wieder maßgebend
werden. Das echte Kunstwerk kann nur aus dem vollen
Empfinden, der ganzen Seele des Künstlers geboren werden.
Seine ganze geistige Persönlichkeit muß an ihm beteiligt
sein, in ihm sich auswirken. Je stärker, je bedeutender
eine Künstlerindividualität ist, um so mehr wird sich ihre
Wesensart in dem von ihr geschaffenen Kunstwerk aus-
prägen und um so mehr wird dann dieses Kunstwerk von
anderen sich unterscheiden, wollen wir wieder eine hohe,
starkschwingige, kraftvoll geartete christliche Kunst heran-
ziehen, so müssen wir auch kraftvolle Individuali-
täten frei und freudig sich entwickeln lassen. Der
Zwerg wird niemals Riesen zeugen, und das ständig nieder-
gehaltene Künstlertalent, dem man niemals gestattet, frei
aus den in seinem Innern rauschenden vollen Bronnen
der Phantasie und Empfindung zu schöpfen, wird zwerghaft
verkümmert niemals hohe starke Kunst hervorbringen können.
Haben wir deshalb Achtung vor den Individualitäten und
den starken Temperamenten. Freuen wir uns jedes echten
Künstlertalents und lassen wir sie ihre Dorwürfe behandeln,
wie ihre Eigenart es ehrlich empfindet, wenn sie sich
nur der inhaltlichen Tradition bewußt bleiben.
Diese innere sachliche Tradition ist gegeben durch die Lehre
der Kirche. Ls gibt aber keine allgemein gültige Tradition
der äußeren Auffassung und Darstellung, des Stils oder
gar der Technik. Die Form muß jeder echte Künstler für
sein Werk neu finden, entsprechend seiner Individualität
und dem jeweils behandelten Stoffe. Und hierin muß er
frei sein. Mögen vor allem die Auftraggeber und Besteller
eingedenk sein der Worte, die ein christlicher Künstler
wie Friedrich Overbeck einmal geschrieben hat, als man
ihn bevormunden wollte: „Es muß ein Kunstwerk so not-
wendigerweise ganz aus einer Seele hervorgehen, daß es
ganz unmöglich ist, fremdes Urteil dabei eintreten zu lassen,
während dasselbe noch im Entstehen oder in der Ausbil-
dung begriffen ist; ein solches kann nur störend und hemmend
einwirken, weswegen ich auch immer ganz besonderes Ge-
wicht auf gänzliche Freiheit in Ausführung meiner Ideen
gelegt habe." So wie Overbeck denken alle selbständigen
Künstlernaturen.
werfen wir einen Blick zurück auf die Zeiten großer
christlicher Kunstblüte; betrachten wir die alten Meister der
italienischen, der niederländischen Kunst, unsere alten deut-
schen Meister, welcher Reichtum, welche Mannigfaltigkeit der
Individualitäten und Temperamente, welche Vielgestaltigkeit
der Richtungen, der Stile, der Techniken. Und welch reiche
Verherrlichung der Religion gerade durch diesen Reichtum
der Auffassungs- und Darstellungsarten. Haben wir des-
halb keine Angst vor den Individualitäten, den Richtungen,
den Schulen; auch nicht vor neuen künstlerischen Gedanken
und Gestaltungen. Freuen wir uns vielmehr der herrlichen
Mannigfaltigkeit, in welcher die Kunst der Religion zu
dienen vermag.
Was wir vom christlichen Künstler zu verlangen be-
rechtigt sind, ist gläubig-religiöse Vertiefung in seinen
Vorwurf, verbunden mit dem steten Bewußtsein, daß er
zur Ehre Gottes und zur Erbauung der Menschen schaffe,
sodann eine souveräne Beherrschung der technisch-künstle-
rischen Mittel. Sind bei einem Künstler diese Voraus-
setzungen gegeben, dann müssen wir ihm auch vertrauen
entgegenbringen und im übrigen seine Eigenart frei sich
auswirken lassen. Dann erhalten wir lebendige Kunst,
nicht tote Schablone.
Seien wir auch dessen eingedenk: Der gute Wille
oder die Tendenz kann und darf niemals den
künstlerischen Wert ersetzen. Andererseits vermögen
die in einem Werke liegenden äußeren künstlerischen Ouali-
täten allein bei mangelnder Durchbeseelung mit christlichem
Geiste dasselbe noch nicht zu einem christlichen Kunstwerk

M
zu machen. Beides ist hierzu notwendig, wie das schon
der Name besagt: Ehristentum und Kunst müssen
am Werke in gleicher weise beteiligt sein; das
eine in der tiefreligiösen Erfassung, die andere in der
individuell-künstlerischen Gestaltung des Vorwurfes.
Damit habe ich Ihnen die Grund- und Leitsätze dar-
gelegt, auf denen eine gesunde Kunstpstege sich aufbauen
kann. Sie müssen wir beachten und zur Geltung bringen,
wenn wir uns der mannigfachen äußeren Mittel bedienen,
die sich für die Kunstpflege, insonderheit für die Pflege
einer guten christlichen Kunst uns darbieten. Nur einen
kurzen Blick, um den mir gesteckten zeitlichen Rahmen
nicht zu sehr zu überschreiten, will ich noch auf diese äußeren
Mittel der Kunstpstege werfen.
wir müssen Kunstliebe und besseres Kunstverständnis
im Volke wieder heranbilden. In Zeitungen, in Zeit-
schriften, in Vereinigungen zur Pflege der Kunst müssen
wir deshalb das Volk, und zwar alle Kreise desselben, auch
die gebildeten — denn wie weit fehlt es oft da gerade auf
diesem Gebiete — im rechten Geiste unterweisen. Unsere
Zeitungen und Zeitschriften müssen regelmäßig über alle
bedeutenden Erscheinungen des modernen Kunstschaffens
eingehend und zuverlässig berichten. Vor allem die auf
katholischer Seite erscheinenden Werke, die in der anderen
Presse so vielfach zu kurz kommen, wenn nicht überhaupt
ignoriert werden, müssen gebührend gewürdigt werden,
damit die Oeffentlichkeit, unsere eigenen Kreise sowohl wie
die gegnerischen sehen, daß auch auf unserer Seite Tüchtiges
geleistet wird, daß wir dank der Befolgung der eben darge-
legten Grundsätze eine kräftig neuaufblühende christliche Kunst
besitzen, die sich in nicht wenigen hervorragenden Werken
an «Dualität mit der besten modernen Profankunst durch-
aus messen kann. Doch nicht jeder, wenn auch noch so
wohlgemeinte, etwa in einem Mußestündchen kurz hin-
geworfene dilettantisch lobhudelnde Bericht, wie wir ihm
nicht gerade selten begegnen, noch viel weniger eine von
Eigenlob überstießende bestellte Reklamenotiz irgendeiner
„kunst"fabrizierenden Firma darf wahllos Aufnahme finden.
Line sorgfältige Prüfung und Auswahl muß vielmehr statt-
haben. Die Redakteure und Verleger unserer größeren
Zeitungen müssen alles daran setzen, auch den kunstkritischen
Teil ihrer Blätter immer gediegener zu gestalten und auf
volle Höhe zu bringen.
Das weite, wichtige Gebiet der Künste darf nicht nur
so nebenher mitbehandelt werden, weil eben eine größere
Zeitung auch eine Kunstrubrik führen muß. Uebersehen
wir nicht, es sind gute Federn und feine Köpfe, die wir
gerade auf diesem Gebiete in der gegnerischen Presse an-
treffen. Der kulturelle Aufstieg wird das Bedürfnis nach
einer erstklassigen Kunstkritik auch in unseren Reihen
immer mehr steigern, andererseits aber auch selbst wieder
dadurch gefördert werden. Ls gibt auch weite Kreise, die,
wenn auch nicht auf unserem Boden stehend, doch auch
nicht gerade zu unseren Gegnern zählend, deshalb nicht durch
unsere politischen Artikel, wohl aber die einen etwa durch
einen guten Handelsteil, die anderen aber durch ein gutes
kunstkritisches Feuilleton zu ständigen Lesern unserer Presse
gewonnen werden können. Das ist für unsere kulturelle
Bedeutung gewiß ebenfalls nicht belanglos.
Muß die katholische Kunstberichterstattung und Kunst-
kritik so auf der einen Seite den modernen Kunstbestre-
bungen voll gerecht werden können, so wird sie andererseits
nicht in den Fehler verfallen dürfen, die Kunst und vor
allem nicht die christliche Kunst bloß nach den gerade in
der Mode hochstehenden maltechnischen «Dualitäten einzu-
schätzen, denn auch auf diesem Gebiete gibt es eine und
sogar recht schnell wechselnde Mode. Sie wird vielmehr
auch die strenge Frage nach dem geistigen Gehalt, nach
der geistigen Bewältigung und Vertiefung des dargestellten
Vorwurfes erheben. Sie wird nicht von der tendenziösen
Verhimmelung mancher Künstler sich beeinflussen lassen,
welche weniger um ihrer Kunst, als um ihrer Geistes-
richtung willen verherrlicht werden. Sie wird nicht über-
sehen, daß gerade der christliche Künstler manches in bezug

Die Werkstatt der Kunst.
 
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