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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Werner, Anton von: Rede zur Preisverteilung in der Kgl. akadem. Hochschule für bildende Künste am 10. Juli 1909 zu Charlottenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0163

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heft 12.

Die Werkstatt der Kunst.

beiten „belustigtes Lachen oder Ausrufe des Entsetzens",
andere werden „oft bis zur Grobheit plump und des Ge-
schmacks entbehrend" genannt. An Böcklin wird bedauert,
„daß er seine Figuren nicht in Schönheit kleiden konnte",
von einem anderen deutschen namhaften Künstler wird ge-
sagt, daß ihm „die Schönheit etwas völlig Fremdes ist".
Man muß lesen von „den falschen Tönen der Ueber-
treibung, Künstelei und kränklichen Phantasie, die sämtlich
durch jüngere Männer angeschlagen sind" und weiter von
dem „verzweifelten Streben nach Exzentrizität — ein so
emsiges Streben, daß diese Künstler sich nicht zu vergegen-
wärtigen scheinen, daß sogar ihre Exzentrizität nicht mal
ihre eigne ist". Nur wenige, wie Menzel, Lenbach und
einige andere, werden ausgenommen.
Meine Herren, das hat inan früher den Deutschen nicht
nachgesagt und man wird auch schwerlich von ihrer Exzen-
trizität auf anderen Gebieten, sei es dem der Wissenschaften
oder der Industrie, sprechen können, denn sie haben mit der
Exzentrizität sicher keine praktischen Erfolge erzielt!
In dem Vorwort zum Katalog heißt es zwar, daß
diese deutschen Kunstwerke „den stürmischen Kunstgeist dar-
stellen, der jetzt im kräftigen Iungdeutschland durch alle
Bande bricht". Aber, meine Herren, machen wir uns doch
keine Mätzchen vor, denn das scheint in den Augen des
Auslandes leider gerade kein Vorzug zu sein! Der ameri-
kanische Kritiker schreibt dazu: „Ob diese Auswüchse ledig-
lich eine Phase des Wachstums darstellen, wie das Knie-
hosenalter der Knabenzeit, oder ob sie der Ausdruck einer
vorübergehenden Extravaganz sind, wird die Zukunft
lehren. Auf alle Fälle macht diese neue Kunst wenigstens
den Eindruck einer sehr unwahren und theatralischen
Malerei, so daß wir uns mit Vergnügen von ihr abwenden
zu den phantasielosesten malerischen Erzeugnissen eines
ehrlicheren Deutschlands." Das sind bittere Worte, von
denen wir aber lernen müssen, wenn wir auf den Absatz
unserer Arbeiten im Auslande Wert legen, und wir können
nur wünschen und hoffen, daß es sich wirklich nur um vor-
übergehende Extravaganzen handelt, die sich in der Zukunft
vermeiden lassen, und darum gerade wende ich mich an Sie,
an die Zukunft.
Gewiß und unzweifelhaft ist es das Idealste für uns
Künstler, wenn wir als Deutsche in unserer Art und
Empfindung nur deutsch und für Deutsche zu schaffen
brauchen. Es ist das, was ich in meinem Bericht an den
Fürsten Bismarck über die Pariser Weltausstellung von
1.878 als den Vorzug der englischen Kunsttätigkeit bezeich-
nete. Die rauhe Wirklichkeit deckt sich aber selten mit den
Idealen, und unsere Industrie weiß sehr gut mit den Be-
dürfnissen des Auslandes zu rechnen, wenn sie auf den
Absatz im Ausland angewiesen ist. Das „kurt ponr I'urt"
ist aber weiter nichts als eine gefällige Gelegenhsitsphrase,
die für uns nach der vorhin angedeuteten Seite ohne jede
praktische Bedeutung ist.
Wir können es ja dahingestellt sein lassen, ob die er-
wähnte amerikanische Kritik wirklich durchaus objektiv ist.
Vielleicht ruft die Ueberschwänglichkeit, mit welcher bei uns
die Werke der sogenannten Großen und Ganzgroßen ge-
priesen werden, die Art, wie man von Helden in der
Malerei, von Kampf und Sieg spricht, auswärts Lächeln
oder auch besondere Opposition hervor, und es klingt wirk-
lich ganz unnötig, wenn man in einem „Aufruf zur
Mitarbeit an der Förderung der deutschen Kunst
usw." die schöne Versicherung liest, daß „auch heute die
deutsche Kunst unter den künstlerischen Leistungen aller
Kulturstaaten der Gegenwart eine der ersten Stellen ein-
nimmt". Wozu das? So vortrefflich und künstlerfreundlich
diese An- und Absichten auch sind, so ließe sich auf der
Gegenseite doch mit Recht sagen, daß die beabsichtigten Be-
strebungen unter dieser Voraussetzung ja gar nicht nötig
wären, denn gute Ware empfiehlt sich selbst.
Aber zur Liebe läßt man sich nicht zwingen und alle
unsere Lobpreisungen helfen uns praktisch zu gar nichts,
sondern schaden nur, weil sie, wie wir sehen, nur Wider-
spruch oder Enttäuschung Hervorrufen. Ich habe schon vor

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einigen Jahren von dieser Stelle aus auf all die Ueber-
schwänglichkeiten in den Kunstberichten unserer presse hin-
gewiesen, mit denen wir uns dem Ausland gegenüber nur
lächerlich machen, denn wir beeinflussen damit und mit
schönen Vorträgen über die deutsche Kunst weder das Urteil
des Auslandes zu unseren Gunsten, noch heben wir den
Absatz unserer Erzeugnisse nach auswärts. Als Deutsche
seien wir uns klar darüber: „Uns tut niemand etwas zu
lieb!" und „Wenn du nehmen willst, so gib!" Ls scheint
mir also unbeschadet der ganz idealen Auffassung von der
Aufgabe und der Bedeutung der Kunst doch aus materiellen
Rücksichten, die von den ideellen nicht gänzlich zu trennen
sind, notwendig, zu fragen: was bieten wir denn eigentlich
und was verlangt das Ausland von künstlerischen Erzeug-
nissen, und was ist die Ursache dieser für den Deutschen ss
gar nicht charakteristischen Seelenwandelung, wie sie die letzt
zitierten Sätze des amerikanischer: Kritikers andeuten?
Den Deutschen, der jetzt ins Ausland kommt und dort
in Hotels und Lafes z. B. deutsche Witzblätter sieht —
um auf diesen nicht unwichtigen Zweig deutscher Kunst,
auf die Illustration zu kommen — überwältigt ein Gefühl
von Scham und Ekel, wenn er daran denkt, welchen Be-
griff sich der Ausländer nach diesen künstlerischen Leistungen
von der deutschen Kunst und vom deutschen Volke machen
muß, dessen verschiedene Bsrufskreise ihm hier in plumxefter,
rohester und gemeinster Verzerrung, zumeist ohne jede Spur
von Witz, vorgeführt werden! Ist das nötig und denkt man
nicht daran, wie sehr damit auch das Ansehen der deutschen
Kunst herabgesetzt wird!?
Die Möglichkeit, das Studium der Natur, vor allem
das Studium nach dem nackten Menschen, dem höchsten
und Vollendetsten, was die Natur der künstlerischen Dar-
stellung bieten kann, zu betreiben, wird überall bei uns in
einem Maße und Umfange geboten, wie es früher nicht
der Fall war, und was ist das Resultat davon? Die Ueber-
füllung unserer Ausstellungen mit roh hingeschmiertsn Dar-
stellungen von nackten verwachsenen Männern und häßlichen
Weibern — Arbeiten, die als künstlerische Leistung nicht
angesprochen werden können!
Unser früherer Minister Herr von Studt hat diese
Schmutzereien neulich im Herrenhaus mit Recht als ein
kaudinisches Joch bezeichnet, unter das die Besucher der
Ausstellung hindurchgezwängt würden, wenn sie ahnungs-
los eine moderne Kunstausstellung betreten. Es freut mich,
diesen „Kunstwerken" gegenüber wenigstens die in unserer
Hochschule entstandenen Aktstudien, Schülerarbeiten, die in
unseren Sammlungen zur Besichtigung stehen, gezeichnete
wie gemalte, als geradezu klassische Leistungen bezeichnen
zu können. Es erscheint auch gar nicht verwunderlich, daß
sogar das Strafgesetzbuch gegen die von Exzellenz von Studt
gemeinten Werke zu Hilfe gerufen wird, denn diese Art
Erzeugnisse haben nichts mehr mit der Freiheit der Kunst
und dem rein künstlerischen und berechtigten Kultus des
Schönen zu tun, wie er uns in den Meisterwerken der
Antike und Renaissance und auch in den Schöpfungen von
Ingres, Baudry, Bouguereau, Lefevre, Labanel, Henner und
Puvis de Lhavannes — ich nenne absichtlich nur französische
Künstler — entgegentritt, sondern man begeht kein Unrecht,
wenn man sie mit dem vulgären Ausdruck „polizeiwidrig*
belegt. Die stets zitierte Freiheit der Kunst ist etwas sehr
hohes, aber durchaus kein Deckmantel für künstlerische
Stümpereien oder Schmutzereien! —
Unsere Landschafter malen Sommer und Winter im
Freien, das Malen im Atelier ist ein überwundener Stand-
punkt, der amerikanische Kritiker sagt aber trotzdem über
die heutigen deutschen Landschafter: „Atmosphäre scheint
ein Problem zu sein, das vom deutschen Pinsel noch nicht
gelöst worden ist. Die Landschaften wirken mehr wie Karten
oder Pläne einer bestimmten Gegend, als wie die Vision
des ewig wechselnden Reizes der Natur..... Einige der
Landschaften sind geradezu rätselhaft."
Ich sah auf einigen auswärtigen Ausstellungen, die
ich kürzlich besuchte, recht viele solcher Landschaften.
Aber ich will diese für uns wenig erfreulichen kritischen
 
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