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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Werner, Anton von: Rede zur Preisverteilung in der Kgl. akadem. Hochschule für bildende Künste am 10. Juli 1909 zu Charlottenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0164

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158

Die Werkstatt der Kunst.

Heft 12»

Urteile nicht noch weiter zitieren, sondern nach der Ursache
forschen, welcher sie entspringen und fragen: ist das Urteil
über die deutsche Kunst vom allgemeinen oder vom
speziell amerikanischen Standpunkte aus auch berech-
tigt? was beides für unsere geschäftlichen Beziehungen zum
Auslande wichtig sein muß, auch wenn wir überzeugt sind,
daß unsere künstlerische Anschauung eine unantastbar richtige
ist. wenn wir aber die anderen durch den Augenschein
nicht zu überzeugen vermögen, so nützt uns unsere Ueber-
zeugung geschäftlich gar nichts.
was verlangt nun eigentlich das Ausland, sagen wir
zunächst z. B. England und Amerika, von der bildenden
Kunst? Eine recht deutliche Antwort darauf geben, auch
wenn man die Kunstwerke selbst nicht vor Augen hat, u. a.
die illustrierten Kataloge der Londoner Akademie-Ausstellung
und die zahlreichen glänzend ausgestatteten englischen und
amerikanischen illustrierten Zeitschriften und Magazine, die
ich stets mit größter Freude und aufrichtigem Neide betrachte.
während unsere moderne Aesthetik sich mit den tief-
sinnigsten Erörterungen über den Begriff des I'art pour
I'urt plagt und den unwiderleglichen Beweis zu führen
sucht, daß das was der künstlerischen Darstellung gleich-
gültig und nur das Wie Aufgabe der Kunst ist, wird
uns aus den vorhin genannten Dokumenten der öffent-
lichen Meinung von anderswo uck oculus demonstriert, daß
das dortige Publikum ganz anderer Meinung ist. wir
sehen da mit Staunen, Freude oder Aerger — wie Sie
wollen —, daß man dort außerordentlich Gefallen an all
dem zu finden scheint, worin auch die deutschen Künstler
einst exzellierten: an der jetzt verpönten Historie, am histo-
rischen, bürgerlichen und bäuerlichen Genrebild, an religiösen
Darstellungen, wie an Märchen- und Sagenbildern, und
in der Landschaft vorwiegend an der sog. schönen Gegend,
ja sogar an der komponierten Landschaft, — alles Dinge,
die bei uns dem wahren modernen Künstler vorschrifts-
mäßig ein Greuel sein müssen. Merkwürdigerweise hat
dort aber unter der Darstellung dieser anekdotischen Stoffe
das wie der Darstellung durchaus nicht gelitten, während
es bei uns, selbst beim Stilleben, dem geistig Gegenstands-
losesten oder Gedankenlosesten immer dilettantenhafter und
minderwertiger geworden ist.
Dort legt man wert auf eine elegante und solide
Technik — wie übrigens auch bei uns in allen Zweigen
der Industrie und des Handwerks — und niemand wird
sich dort vorreden lassen, daß Ungeschicklichkeit oder gar
Schmutz und Schmiere das Kennzeichen der wahren Kunst
um der Kunst willen seil Ganz besonders sind die Illu-
strationen, z. B. in „Harpers Magazine", „Metropolitan
Magazine", „Windsor Magazine", im „Life" und anderen
Zeitschriften wahre Muster eleganter Darstellung. Auf
keiner Seite — selbst wenn es sich um Illustrationen zu
den wildesten, dem dortigen Leser anscheinend unentbehr-
lichen Schauerromanen handelt — findet man irgend etwas
Widerwärtiges, künstlerisch Anstößiges, Unästhetisches; im
Gegenteil, Grazie und künstlerischer Geschmack sind vor-
herrschend, vor allem, wenn es sich um die Darstellung des
Höchsten und vornehmsten im gesellschaftlichen Leben: der
Frau, der Dame handelt. Hier photographiert nicht nur der
Künstler die Natur, das Leben, sondern er wird Bildner und
Schöpfer .... — die ideale Schönheit des americau Zirl
hat erst Charles Dana Gibson geschaffen, er hat durch seine
Kunst die Welt mit einem Schatze bereichert, den sie früher
nicht kannte, und man könnte behaupten, der Künstler ist
damit zum Erzieher geworden!
Und nun, meine Herren, vergleichen Sie damit die
Bilder der mehr oder weniger nackten Damen, die unter
allerlei idyllischen Titeln jetzt unsere Ausstellungen be-
völkern, oder das Weib an sich, wie es in manchen unserer
illustrierten Witzblätter auftritt und sagen Sie mir, ob unseren
deutschen Frauen und Mädchen, falls sie auch nur einen
Funken von Gefühl und Geschmack haben, nicht die Röte
der Scham und des Zornes ins Antlitz steigen muß gegen
die Künstler, wenn sie derartige Bilder der deutschen Frau
sehen, mit denen wir im Ausland Eroberungen machen

wollen? Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen, aber
man hört von allen Deutschen im Auslande nur allzu
häufig auf den üblen Eindruck Hinweisen, den diese Seite
unseres Deutschtums im Auslande machtl Und weiter: Ist
wirklich unser deutsches Vaterland — wenn denn doch mit
der „Heimatkunst" geprotzt werden muß — so unmalerisch,
langweilig und nüchtern, wie es jetzt auf der Mehrzahl der
Fülle von Landschaften erscheint, die alljährlich die Aus-
stellungen und Kunstsalons überfluten? Gewiß wird der
fähige Künstler aus dem unscheinbarsten Stückchen oder
Winkel der landschaftlichen Welt ein Meisterwerk schaffen
können, aber er muß das besitzen, was Fürst Metternich
als Kurator der wiener Akademie der bildenden Künste
in seiner Rede am ;2. Februar Z8;2 mit den Worten aus-
drückte: „Der hohe Geist, welcher den Künstler erst zum
Künstler eignet, jenes Gefühl, welches sich den rohesten
Stoffen, dem Stein, dem Metall, dem Leingewebe selbst
mitteilt, jenes Leben, welches die Werke der großen Meister
der Vorwelt ausströmen, steht weit außer den engen Grenzen
bloß mechanischer Kunst."
Es ist kein Künstler oder Kunstgelehrter, der diese
Worte vor ;oo Jahren gesprochen hat, sondern ein ge-
wiegter, in allen Sätteln gerechter Staatsmann, und seine
Aeußerungen unterliegen der modernen Kritik, die gewiß
ganz anderer Meinung ist.
Aber, meine Herren, erinnern Sie sich dieser Worte,
Fragen und Ausführungen, wenn Sie zu selbständiger
schöpferischer Tätigkeit kommen, und prüfen Sie, ob die
idealste Auffassung von Ihrem Berufe sich nicht mit der
materiellen Seite der künstlerischen Produktion vereinbare,:
läßt, wir sind vor allem bestrebt, Sie zu praktischen
Künstlern auszubilden, aber ich habe schon in meiner
Ansprache bei der Preisverteilung gesagt und kann es heute
nur wiederholen: „Der akademische Unterricht kann Ihnen
nicht viel mehr als die Krücken liefern, mit deren Hilfe
Sie gehen lernen sollen. Können Sie gehen, so werfen
Sie diese Krücken fort und gehen Sie Ihre eigenen Wege!"
Sie sollen das Leben selbst studieren, das können Sie
naturgemäß nicht hier in unseren Lehrräumen, wir können
Ihnen nur das Rüst- und Handwerkszeug dazu mitgeben.
Ihre Neigung und Veranlagung wird Sie auf Wege
führen, den einen hierhin, den anderen dorthin, auf Ge-
biete, wohin Ihnen keiner Ihrer Lehrer folgen kann, und
wo er Ihnen vielleicht auch gar nicht nützen könnte, wo
er aber auch ganz überflüssig ist, wenn Sie sich nur stets
Ihrer Aufgabe bewußt sind: mit dem Auge des Künstlers,
der das Schöne sucht, die Vorgänge in der Natur und im
Leben zu beobachten und festzuhalten und mit Ihrer künst-
lerischen Tätigkeit die Menschheit zu erfreuen und zu er-
heben. Dabei mögen Sie dann auch mitunter daran denken,
daß der gesunde Menschenverstand immer noch für die
Unterscheidung von gut und schlecht genügt hat, und daß
mit der Phrase, der wahre Künstler werde von der großen
Masse nicht verstanden, viel Unfug getrieben wird.
Selbsterkenntnis und Selbstzucht an Stelle von unge--
sundem Selbstgefühl und schädlicher Selbstverherrlichung
werden auf unserem Gebiete vor der Hand nützlicher sein
als alle Vereine und Bestrebungen zur künstlichen Förde-
rung des Ansehens der deutschen Kunst, und das Ideal in
der Kunst wird bei praktischer Behandlung dem materiellen
Erfolge nirgends im Wege stehen!
Es liegt eine besondere Veranlassung für diese Aus-
führungen meinerseits vor.
Ls scheint, daß man der ewigen photographischen
Momentaufnahmen in unseren illustrierten Blättern über-
drüssig ist — so nützlich und unentbehrlich sie uns auch
geworden sind — und daß man wieder mehr Künstler-
Illustrationen, wie in den von mir vorhin erwähnten aus-
ländischen Organen wünscht, also subjektive künstlerische
Aeußerungen aus dem Leben.
„wir brauchen Illustratoren!"
Unter dieser Ueberschrift wendet sich die „Berliner
Illustrierte Zeitung" in dankenswerter weise mit einem
Preisausschreiben von je ZOOO Mk. in den nächsten drei
 
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