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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Hocheder, Karl: Gesichtssinn und baukünstlerisches Schaffen
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268

Die Werkstatt der Kunst.

heft 20.

koftenlss Auskunft in Rechtsangelegenheiten, die die beruf-
lichen Interessen der Mitglieder betreffen. (Sprechstunden
täglich, mit Ausnahme des Sonnabend, von bis 6 Uhr.)
Gesuche um Raterteilung werden, unter Beifügung von
möglichst vollständigem Beweismaterial, an» besten schrift-
lich, — entweder direkt bei Herrn Or. Rothe oder durch
die Vermittelung der Schriftleitung der „Werkstatt der Kunst"
eingereicht. —
Auch die Abonnenten der „Werkstatt der Kunst"
erhalten diese kostenlose Auskunft, doch haben sie ihr
Abonnement nachzuweisen und sich schriftlich oder münd-
lich an die Schriftleitung in Zehlendorf-Berlin zu wenden.

Der Redakteur der „Werkstatt der Kunst" Fritz
hellwag hält jeden Dienstag und Sonnabend
zwischen 5 und 7 Uhr im Hotel „Askanischer Hof", König-
grätzerstraße 2 t (Telephonamt VI, qs?), eine öffentliche
Sprechstunde ab. Briefliche Anmeldung erwünscht.

Redaktions-Telephon.
Die Redaktion der „Werkstatt der Kunst" kann auch
telephonisch, am besten vormittags, unter: Amt Zehlen-
dorf Nr. toss angerufen werden.

Schluß des amtlichen Teils.

GeNcktssmn imck bÄukunltlerNckes

von Karl hocheder, Professor an der Technischen Hochschule zu München.

Jedes bewußte Sehen stellt sich, bei ernsterer Ver-
tiefung in den seelischen Vorgang, als ein persönlicher
Schöpfungsakt des Betrachters dar, als Schaffung eines
Bildes, das erst erzeugt wird durch die vom geschauten
Gegenstände auf die Seele des Beschauenden ausgeübten
Eindrücke.
Die nachkantische Philosophie bezeichnet diesen ganzen
Vorgang als „Wechselwirkung zwischen dem Subjekt —
dem Betrachter — und dem Gbjekt — dem Betrachteten —"
und das Endresultat aus diesen beiden Faktoren als das
„Rückvermittelte".
Der Mensch, der mit seinem Zeit- und Raumsinn in
die Unendlichkeit gestellt ist, hebt mit der Unzulänglichkeit
seiner Sinnesorgane einen Ausschnitt aus dem in ewiger
Bewegung befindlichen Weltprozeß als zeitlich und räumlich
begrenztes Linzelding heraus, das als eine nur menschlich
verständliche Tatsache Geltung besitzt und uns den Kosmos
begreiflich und faßbar macht.
Aus der Geschichte der Menschheit dürfen wir den
Schluß ziehen, daß diese so hervorgegangenen menschlichen
Grund- oder Grdnungsgesetze, die psychischen wie physischen,
überall die annähernd gleichen waren und noch sind, daß
also die großen Einheiten der Farben-, Form- und Ton-
akkorde seit Urzeiten auf Grund der gleichen oder ähnlichen
physisch-psychischen Grundlagen wahrscheinlich gleich oder
wenigstens ähnlich empfunden und als glatte Lösungen
eines Konflikts oder als Ausgleich einer Spannung lustvoll
hingenommen werden, so sehr auch die in verschiedenen
Seelen erzeugten Bilder untereinander verschieden sein
mögen.
Sicher aber dürfen wir diese Gleichheit annehmen von
den Gefühlen, welche durch Kunstwerke bei den Beschauern
ausgelöst werden. Das Kunstwerk, das Produkt des Menschen,
also desjenigen, welcher nach unseren, uns allein verständ-
lichen Drdnungsgesetzen handelt und schafft, hat gegenüber
dem Naturprodukt von vornherein den Vorteil der größeren
Einfachheit voraus und den, daß es in der von unseren
Sinnen verlangten durchsichtigen Gesetzmäßigkeit entstanden
ist, mithin dem Beschauer eine große Mühe des (Ordnens
abnimmt.
Die Gemeinsamkeit der psychischen Grundlagen bei den
Schaffenden wie bei den Genießenden schlägt also die eigent-
liche Brücke des Verständnisses zwischen Schöpfer und
Nachschaffenden.
Die dabei ausgelösten komplizierten psychologischen
Vorgänge gehen für die bildenden Künste vom Gesichts-
sinn als Erstangeregtem aus, erst an ihn schließt sich eine

*) Festrede, gehalten bei der Akademischen Jahresfeier der Tech-
nischen Hochschule zu München am ?. Dezember IIOI. — Mit Erlaubnis
des Herrn Verfassers aus der „Internationalen Wochenschrift für Wissen-

Reihe von unendlich feinen Regungen, von Vorstellungen,
Verknüpfungen, Gefühlen oder verschiedensten Abstufungen
bis zur eigentlichen Einfühlung der organischen Belebung
des betrachteten Außendinges. Die Zergliederung dieser
feinen Unterschiede der Seelenvorgänge ist nicht Sache des
ausübenden Künstlers. Ihm legt mehr seine Erfahrung
im praktisch schöpferischen Gestalten die große Wichtigkeit
der Art und Weise nahe, in welcher das Kunstwerk dem
Auge dargeboten sein muß, wenn der an den Sehakt
geknüpfte feelische Vorgang ein möglichst unmittelbarer und
eindringlicher werden soll.
In welcher Weise diese eindrucksvolle Wirkung erzielt
werden kann, ist in neuerer Zeit wohl kaum prägnanter
von einem bildenden Künstler in Worte gefaßt worden,
als es Adolf pildebrand in seinem „Problem der Form"
getan hat. Es sei deshalb das für gegenwärtige Aus-
führungen wesentliche hiervon in freier, gekürzter Fassung
nachfolgend gegeben:
Für das Kunstschaffen seien Daseinsform und Wirkungs-
form zwei verschiedene Begriffe und unter ersterer die wirk-
lich meßbare reale Form, wie sie die Naturwissenschaft
braucht, unter letzterer dagegen diejenige Form verstanden,
wie sie sich als mehr oder minder klarer Gesichtseindruck
darbietet und für künstlerische Zwecke verwenden läßt. —
Die Kurvaturen griechischer Tempel, Anläufe, Einziehungen,
Ueberhöhungen sind z. B. in der Architektur solche gegen
Augentäuschungen gerichtete Umwertungen der Daseins- zu
Wirkungsformen. Die Wirkungsform habe aber zwei
Weisen ihres Sichdarbietens, eine, welche den Forminhalt
oder die zweckliche Bedeutung des Werkes ausmacht, und
eine andere, welche sie nur in bezug auf ihre räumliche
Wirkung besitzt; und indem der Künstler diese weisen aus
der Naturform nehme und von allen für das Auge unklaren
Bestandteilen befreie, führe er sie im Kunstwerk als Funktions-
bezw. Raumwerte ein. In den Raumwerten einer rein
räumlichen Erscheinung seien deshalb die letzten Ergebnisse
aus den Gegensätzen zwischen den innerhalb des Kunst-
werkes zusammenwirkenden Formbestandteilen oder kurz
ihre Verhältniseindrücke zu erblicken.
Mit den durch fortwährende Bewegung im Raume
gewonnenen, unendlich vielfältigen Wahrnehmungen sammelt
der Mensch einen reichen Vorrat von Erinnerungsbildern,
die ihn beim Sehakt derart unterstützen, daß er nur eines
ganz unvollkommenen Anstoßes von außen zu seiner so-
fortigen (Orientierung bedarf.
Bei Uebertragung solcher Erinnerungsbilder auf ein
Material werden sich aber sehr viele Menschen erst der
großen Kluft bewußt, welche zwischen dem einfachen Zurecht-
finden in der Welt der Erscheinungen und der reinigenden
Auswahl dieses wahrnehmnngsmaterials überbrückt werden
muß, um für das Kunstwerk das Maximum der tatsächlichen
Anregungskraft zur räumlichen Vorstellung zu erreichen.
 
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